Nach den Zinsentscheiden der Europäischen Zentralbank EZB am 6. Juni (Senkung um 0.25%) und der US-Notenbank Fed am 12. Juni (Leitzins unverändert) ist der Ausgang des Zinsentscheides der Schweizerischen Nationalbank SNB am 20. Juni deutlich spannender.
In seinem Vortrag am 30. Mai, anlässlich einer internationalen Konferenz der Bank of Korea, hat SNB-Präsident Thomas Jordan methodische Grundlagen der Schweizerischen Geldpolitik erläutert (s. SNB Webseite für den Originaltext). Dabei spielt der reale Gleichgewichtszins, der gerne mit r* bezeichnet wird, eine wichtige Rolle.
Dieser reale Zinssatz ist eine theoretische Gleichgewichtsgrösse, bei welcher sich die Schweizer Wirtschaft bei voller Kapazitätsauslastung mit stabiler Inflation entwickeln würde. Natürlich kann diese Grösse r* nur indirekt empirisch geschätzt werden. Dabei sind die gesetzten Leitzinsen und die beobachtbaren Marktzinsen sowie Wachstums- und Inflationsprognosen zentrale Inputs für die Schätzung von r*.
Rückgang des natürlichen Zinssatzes r*
Der geschätzte Gleichgewichtszinssatz r* ist für die Schweizer Wirtschaft, laut SNB, seit 1990 von etwa 2% auf 0% gefallen. Höhere Sparvermögen aufgrund der demographischen Entwicklung und weniger Nachfrage nach Investitionskrediten könnten Gründe für den Rückgang von r* sein. Ob nach der COVID-19 Pandemie eine Phase mit Wiederanstieg von r* beginnt, bleibt ein unter Ökonomen debattiertes Thema.
Bei einer erwarteten CHF-Inflation von nur noch leicht über 1% bis Ende 2025, liegt der Bereich für künftige geldpolitisch neutrale Leitzinsen aus obigen Betrachtungen bei etwa 1% bis 1.5%. Dabei muss aber beachtet werden, dass erhebliche methodische und statistische Unschärfen bei der empirischen Schätzung von r* unvermeidlich sind. Diese Unsicherheiten sind offenbar so beschaffen, dass der neutrale Gleichgewichtszins eher unterschätzt werden könnte.
Für den bevorstehenden Zinsentscheid der SNB könnte man also etwas spekulativ ableiten, dass das aktuelle Leitzinsniveau von 1.5% bei einer Inflation von 1.4% (Mai, April) einen realen Zinssatz von 0.1% impliziert, was schon sehr nah beim Gleichgewichtszins r* von 0% liegt. Damit fährt die SNB mit einem (unveränderten) Leitzinssatz von 1.5% bereits einen geldpolitisch neutralen Kurs. Ausserdem wäre das Risiko, r* zu unterschätzen, mit einem etwas höheren Leitzins berücksichtigt.
Natürlich verfügt die SNB über bessere Methoden und Szenario-Abwägungen als die meisten Marktteilnehmer und wird am kommenden Donnerstag den Zinsentscheid darauf abstützen. Offensichtliche Gründe, die es nahelegen würden, die Geldpolitik zu lockern erkennen wir aus unserer Sicht derzeit kaum.
Sinnvolle Prognose zum SNB Zinsentscheid kaum möglich
Eine Prognose abzugeben, ob die Schweizerischen Nationalbank SNB am 20. Juni den Leitzins von derzeit 1.50% senken wird, gleicht daher einem Münzwurf. An den Zinsmärkten schwankt die aus Zinskurven abgeleiteten Wahrscheinlichkeit für einen Zinsschritt um rund 50%. Hingegen sind bis zum Jahresende 2024 ein bis zwei weitere Zinsschritte der SNB im Markt eingepreist. Fällt die Inflation in den nächsten Monaten tatsächlich auf einen Wert nah 1%, wäre dies kompatibel mit den Ausführungen aus Thomas Jordans Vortrag in Seoul.
Heutige Marktentwicklung (Stand ca. 11:30 Uhr, 17. Juni 2024, Basel Zeit)
Der Schweizer SMI-Index ist mit geringem Verlust von 0.25% in die neue Handelswoche gestartet. Der deutsche Aktienindex (DAX) gewinnt rund 0.25 % zu. Für die US-Aktienmärkte signalisieren die Future am heutigen Montag einen gegenüber Freitag kaum verändert Handelsbeginn.
Dr. Sandro Merino
Leiter BKB Asset Management und Chief Investment Officer
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