Nach dem Überfall auf die Ukraine haben USA und EU massive Sanktionen gegen Russland verhängt. Wie reagieren die Finanzmärkte? Wie ist die derzeitige Lage einzuschätzen?
Russische Invasion ist in Stocken geraten
Die russischen Truppen konnten trotz ihrer grundsätzlichen Übermacht bis zum Montagmorgen keine der grossen ukrainischen Städte unter Kontrolle bringen. Obwohl aus Kiew und anderen Städten ständig Kämpfe und Explosionen gemeldet werden, bleibt die ukrainische Regierung in ihrer Führungsrolle für den sehr entschlossenen und offenbar weiterhin koordinierten Widerstand der ukrainischen Streitkräfte. Aus der Analyse einiger Kampfhandlungen entsteht gar der Eindruck, dass nicht einmal die russischen Soldaten die wahre Natur der "Spezialoperation" Putins gekannt hatten, bevor sie ukrainisches Territorium betreten haben. Falls die russischen Soldaten der Propaganda Putins glaubten, dass sie als Befreier im Kampf gegen eine angebliche "korrupte und faschistische" ukrainische Regierung mit Blumen von den Ukrainern empfangen würden, so sind sie ebenfalls Opfer der Lügen Putins geworden. Es gibt derzeit keine gesicherten Angaben über die Anzahl gefallener Soldaten. Es dürften auf russischer Seite viele Hunderte, wenn nicht Tausende Soldaten gefallen sein. Spätestens, wenn die Mütter dieser jungen Soldaten die tragische Nachricht erhalten, fällt Putins Lüge einer reibungslosen und getarnten Spezialoperation, so wie sie 2014 in der Krim durchgeführt wurde, in sich zusammen. In den russischen Staatsmedien wird der Verlauf der Operation gegenwärtig nach wie vor an der tragischen Realität vorbei zurecht gelogen.Wie weit geht Putin?
Die Nato schliesst einen direkten Einsatz von Nato-Truppen weiterhin aus. Es werden nun aber insbesondere auch von Deutschland Waffen in die Ukraine geliefert werden. Aus taktischen Gründen bleiben die genauen Lieferwege natürlich ungenannt. Systeme zur Bekämpfung russischer Flugzeuge, Helikopter und Panzer sind besonders wirksam, um die Abwehr der ukrainischen Armee zu stärken. Es mag ein Zeichen der Frustration Putins sein, dass er die strategischen Nuklearkräfte in erhöhte Bereitschaft gesetzt hat. Ein klares Signal an die Nato, dass sie mit ihrer Unterstützung der Ukraine eine gefährliche Eskalation der Situation riskiert. Die Möglichkeit, dass Putin die Gegenwehr der Ukraine grundlegend unterschätzt hat, könnte Putin nun unberechenbarer und damit noch gefährlicher machen.
Es stehen zwar Verhandlungen unter Mediation Weissrusslands im Raum, aber es ist sehr fragwürdig, wie ernsthaft es Putin mit dieser erneuten Öffnung für Diplomatie ist. Ein ernsthaftes Verhandlungsangebot Putins wäre zu diesem Zeitpunkt ein Eingeständnis, dass seine rasche Invasion erstmal gescheitert ist. Die andere Gefahr ist, dass Putin die Ukraine nun heftiger bombardiert und noch rücksichtloseren Raketenangriffen unterwirft. Das könnte in den grossen Städten zu noch schrecklicheren zivilen Opfern führen. Es scheint aber unwahrscheinlich, dass ein verstärkter Bombenterror den trotzigen Wehrwillen des ukrainischen Volkes brechen würde.
Sanktionen gegen Russland – Reaktionen an den Finanzmärkten
Die Sanktionen, welche gegen Russland ergriffen wurden, umfassen u. a.
- den Teilausschluss aus dem Internationalen Zahlungssystem SWIFT
- das Einfrieren der Devisenreserven Russlands
- das Schliessen des Luftraums über Europa für russische Flugzeuge.
Die Sanktionen isolieren das Land von den internationalen Finanzmärkten und machen es unmöglich, Russlands signifikante Fremdwährungsreserven zur Stützung der eigenen Währung einzusetzen. Als der Handel des Rubels am frühen Montagmorgen wieder aufgenommen wurde, verlor dieser gegen harte Währungen etwa 30%. Der Druck auf den Rubel hält bis jetzt an.
Der Ölpreis der Sorte Brent legte heute Morgen zwischenzeitlich um über 7 % zu, aktuell wird er noch etwa 4% höher notiert. Der in den Niederlanden ermittelte Gaspreis schoss kurzfristig um 36 % in die Höhe, aktuell beträgt der Anstieg noch hohe 20 %.
Die Verluste an den Aktienmärkten halten sich in Anbetracht der schwierigen Lage in Grenzen. Der SMI gibt aktuell weniger als 1 % nach, der Euro Stoxx 50 verliert 3 %. In Asien waren viele Märkte sogar leicht im Plus. Der Rückschlag an den Aktienmärkten liegt bisher also eher am milderen Ende des Spektrums, das während regionaler kriegerischer Konflikte erwartet wird.
Einschätzung der aktuellen Lage
Zur Einschätzung der aktuellen Lage sind weiterhin folgende Aspekte, die wir schon vor einer Woche besprochen hatten, wichtig (ein Update):
- Ob die Ukraine als souveräner Staat bestehen bleibt, ist weiterhin nicht gesichert. Ein rascher militärischer Erfolg Russlands ist aber ausgeblieben und der trotzige Widerstand der Ukrainer dürfte Putins Pläne vorerst erheblich durchkreuzt haben. Dies erzeugt aber neue Unsicherheit über mögliche Eskalationen, die Putin in Betracht ziehen könnte.
- Die Sanktionen gegen Russland haben auf die globale Wirtschaftsentwicklung insgesamt eher geringen Einfluss. Russland hat etwa die Wirtschaftsleistung von Italien. Die Schweiz ist als Handelspartner der EU sogar etwas gewichtiger als Russland. Sollte die Preisentwicklung noch stärker als bisher beobachtet nach oben gehen, könnte sich dies ungünstig auf das globale Wirtschaftswachstum auswirken. Die heutige Bewegung der Energiepreise zeigt, dass diese länger als bislang erwartet hoch bleiben werden. Dies gilt insbesondere für die Gaspreise in Europa, da Russland hier einen bedeutenden Anteil der Lieferungen ausmacht. Entsprechend bleibt der Druck der Energiepreise auf die Teuerungsraten bestehen.
- Die Reaktion Chinas auf eine Invasion der Ukraine und auf westliche Sanktionen gegen Russland bleibt offen. Chinas Enthaltung im Uno-Sicherheitsrat, als Russland nur noch durch das eigenen Vetorecht die Annahme der von den USA vorgebrachten Resolution verhindern konnte, ist aber ein Signal, dass China zunehmend beunruhigt und unzufrieden darüber ist, welche hohen Wellen Putins "Spezialaktion" inzwischen global auslöst. China weiss jetzt, welches Pandämonium eine Invasion in Taiwan auslösen könnte. Ausserdem treffen global höhere Energiepreise auch Chinas energieintensive Wirtschaft empfindlich.
- Eine russische Finanzkrise und ein Einbruch des Rubels haben auf die Finanzsysteme in der EU und in den USA wenig Einfluss. Eine galoppierende Abwertung des Rubels und die Möglichkeit einer russischen Bankenkrise ist aber nach den Sanktionen wahrscheinlicher geworden. Die sanktionierten russischen Banken dürften Mühe haben genügend Liquidität zu beschaffen und könnten ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen können. Dominoeffekte in das westliche Finanzsystem sind aber nur sehr begrenzt zu erwarten.
In typischen weltweit diversifizierten Anlageprodukten liegt das Gewicht Russlands meist bei unter 0.25%. Diese Zahl hat sich seit der völkerrechtswidrigen Besetzung der Krim in 2014 und der kriegerischen Annexion von Gebieten Georgiens durch Russland in 2008 deutlich reduziert.
- Die Unwägbarkeiten von Cyberattacken oder anderer Formen asymmetrischer Kriegsführung wie Desinformation, Einsatz chemischer Kampfstoffe oder von physischen Angriffen auf kritische Infrastruktur sind gross und kaum in eine Szenarioanalyse integrierbar. Dies bleibt nach wie vor ein bedrohlicher Aspekt dieser Krise, selbst wenn bisher keine Anzeichen erhöhter Auswirkungen zu beobachten sind.
- Zieht man militärische Konflikte der jüngeren Vergangenheit als Basis bei, wie beispielsweise den ersten Irak-Krieg (1990) oder der Einsatz der USA in Afghanistan (2001), dann muss man im Falle einer Invasion mit einem Einbruch des Aktienmarktes (MSCI World) um 10% bis 20% rechnen. In vergangenen militärischen Krisen haben sich die Märkte in der Regel aber nach wenigen Monaten vom Einbruch erholt.
Die humanitären und geostrategischen Folgen einer Invasion der Ukraine wären aber sehr weitreichend und könnten nachhaltig die Sicherheitslage Europas verändern. Somit ist ein Vergleich mit früheren Krisen nur bedingt sinnvoll.
- Insgesamt dürfte die US-Zentralbank die Erhöhung der USD-Leitzinsen verlangsamt umsetzen. Ein erster Zinsschritt der FED im März ist möglich, aber es ist wohl eher mit +0.25% zu rechnen als mit +0.50%. Auch die EZB wird sich in Anbetracht der Lage mehr Zeit lassen für das Anziehen der geldpolitischen Schrauben. Eine erste Zinserhöhung für den EUR ist in diesem Jahr unwahrscheinlicher geworden.
- Der USD, der JPY und der CHF dürften auch in dieser Krise ihre Rollen als sichere Häfen spielen. Die Währungsbewegungen der wichtigsten globalen Währungen waren insgesamt aber nicht extrem.
Heutige Marktentwicklung und Anlagestrategie
Die neue Woche beginnt an den Finanzmärkten in Europa mit Verlusten. Der SMI fällt um weniger als 1 %, der Euro Stoxx 50 verliert 3 %. Die US-Aktienmärkte dürften am Nachmittag 1.5 % bis 2 % tiefer eröffnen. (Stand ca. 10:45, 28.2.2022, Basel Zeit)