Die zweite Corona-Welle nimmt in Europa rasch fahrt auf

Die Corona-Fallzahlen schiessen europaweit in die Höhe, die Schweiz hat im Verhältnis sogar die USA überholt. Seit heute gelten im ganzen Land wieder verschärfte Massnahmen. Reichen diese aus, um einen zweiten Lockdown zu verhindern? Was ist die beste Lösung für die Volkswirtschaft? Und was bedeuten die aktuellen Entwicklungen für die Finanzmärkte? Das Update von Chief Investment Officer Dr. Sandro Merino. 

Am 19.10.2020 in CIO-Kommentar von Dr. Sandro Merino
Die Corona-Fallzahlen schiessen europaweit in die Höhe, die Schweiz hat im Verhältnis sogar die USA überholt. Seit heute gelten deswegen wieder verschärfte Massnahmen. Reichen diese aus oder benötigt das Land einen zweiten Lockdown? Was ist die beste Lösung für die Volkswirtschaft? Und was bedeuten die aktuellen Entwicklungen für die Finanzmärkte?

Was viele in den vergangenen Monaten befürchtet haben, bewahrheitet sich. Die zweite Corona-Welle hat begonnen und nimmt zunehmend Fahrt auf. Die Fallzahlen sind zuletzt in faktisch allen Ländern Europas in die Höhe geschossen. Und die Neu-Infektionen in der Schweiz haben im Verhältnis zur Bevölkerungszahl diejenigen der USA gar überholt. Entsprechend ist es in der Politik wieder vermehrt zu "Krisensitzungen" gekommen. Es werden Massnahmen gesucht, um der Ausbreitung der Infektionen angemessen begegnen zu können.

Halbherzige Massnahmen teurer als ein zweiter Lockdown?

Generell gilt dabei, dass trotz der Möglichkeit von regionalen Lockdowns ein zweiter genereller Lockdown wie im Frühjahr mit allen Mitteln verhindert werden soll, um mögliche negative wirtschaftliche, aber auch gesellschaftliche Folgen so gering wie möglich zu halten. Eines scheint dabei vielfach Konsens zu sein: Die Hauptrisiken im Zusammenhang mit der Verbreitung des Corona-Virus gehen von privaten Feiern und Anlässen aus. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass wegen der stark steigenden Infektionszahlen in verschiedenen Ländern wieder eine Begrenzung der Personenzahl bei privaten Treffen beschlossen wurde (wie bereits in Deutschland in der vergangenen Woche).

Ob die Lösung eines "circuit-breakers" (ein kurzer, aber radikaler Lockdown von etwa zwei bis drei Wochen), wie sie von Britischen Wissenschaftlern der Regierung in Downing Street empfohlen wird, am Ende doch gewählt werden muss, ist aus heutiger Sicht schwer vorherzusehen. In Italien wird über einen geplanten Lockdown über die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel diskutiert. Das Risiko besteht, dass halbherzige Massnahmen am Ende volkswirtschaftlich wesentlich teurer werden, als ein heftiger dafür kurzer Tritt auf die Bremse.

Schweiz in guter Verfassung der Staatsfinanzen

Die ausserordentlichen Ausgaben des Bundes blieben bisher in einer Grössenordnung von 16 Milliarden und somit weit tiefer als noch im März befürchtet. Dabei muss man diese Zahl im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung der Schweiz von etwa 700 Milliarden CHF und der tiefen Verschuldung des Bundes und der Kantone die Ende 2019 deutlich unter 30% des BIPs lag. Diese Quote ist im Vergleich zum Durchschnitt der Ländern in der Eurozone dreimal tiefer. Auch Deutschland trägt eine Staatschuldenquote, die mehr als doppelt so hoch ist als jene der Schweiz. Somit trifft die Pandemie die Schweiz in einer ausserordentlich guten Verfassung der Staatsfinanzen. Die Errungenschaft einer tiefen Staatsverschuldung sollte man nicht leichtfertig verspielen. Es könnte sich aber als Trugschluss erweisen, dass die unbedingte Vermeidung eines landesweiten Lockdowns am Ende die kostengünstigere Entscheidung darstellt.

Neue Massnahmen unzureichend?

Mit dem kantonalen Flickenteppich ist es nun grösstenteils vorbei. Konnte man am Freitag im Kanton Baselland noch ohne Maske einkaufen, ist dies nach der ausserordentlichen Sitzung des Bundesrates vom Sonntag nicht mehr möglich. Auch wenn die Schweiz bislang die "Ausserordentliche Lage" nicht wieder ausgerufen hat, gelten ab heute für die ganze Schweiz verschärfte Massnahmen. Ob diese Massnahmen allerdings ausreichen, ist aus unserer Sicht offen. Wir befürchten, dass diese noch nicht ausreichen. Eine Begrenzung der Infektionszahlen setzt generell eine Begrenzung der sozialen Kontakte voraus. Während diese im März und April des Jahres extrem reduziert wurden, haben diese im Sommer wieder deutlich zugenommen. Die nun auf den Weg gebrachten Massnahmen scheinen zu wenig verbindlich und zu stark auf die Freiwilligkeit der Einzelnen ausgerichtet, um für die notwendige Reduktion der sozialen Kontakte zu sorgen. Das Damoklesschwert zumindest regionaler Lockdowns schwebt somit weiter über uns.

Pause bei der konjunkturellen Erholung

Speziell im Dienstleistungsbereich drücken die steigenden Infektionszahlen auf die Stimmung der Unternehmen in Europa. Viele Betriebe in diesem Bereich sehen sich noch mit den negativen Auswirkungen der ersten Corona-Welle konfrontiert, die beispielsweise aus der Einhaltung von Hygienebestimmungen, Sicherheitsabstandsregelungen und Einschränkungen bei der Reisefreiheit resultieren. Eine deutlichere Verschärfung der bereits geltenden Regeln oder gar regionale und überregionale Lockdowns wären Gift für deren Geschäftstätigkeit. Entsprechend verwundert es nicht, dass die Einkaufsmanagerindizes für den Dienstleistungsbereich von besonders stark betroffenen Ländern zuletzt wieder unter Druck geraten sind. Es ist generell damit zu rechnen, dass sich die konjunkturelle Erholung im laufenden Quartal abschwächen wird. Andererseits gehen wir jedoch davon aus, dass Länder und Notenbanken "Gewehr bei Fuss stehen", um bei einer deutlichen Verschärfung der Lage der Wirtschaft unterstützend beizustehen.

Zuversichtliche Prognosen

Dies und die Tatsache, dass ein erneuter Lockdown mit allen Kräften vermieden werden soll, stimmt uns für die Entwicklung an den Finanzmärkten verhalten zuversichtlich. Wir überprüfen vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung laufend unsere Positionierung in den Vermögensverwaltungsmandaten und den Anlagelösungen. Aktuell überwiegt die Zuversicht, dass die Wirtschaft auch diese zweite Welle mit einem blauen Auge überstehen wird. Dass SECO hat gerade erst seine Konjunkturprognose nach oben angepasst und geht für das laufende Jahr "nur" noch von einem Einbruch der Wirtschaft um 3,8 % aus.

Wir bleiben deshalb vorderhand bei den Aktien nahe der langfristigen strategischen Quote positioniert, sind innerhalb unserer Aktienanlagen aber etwas defensiver investiert. So sind Schweizer Aktien aktuell in den Portfolios übergewichtet, zu Lasten von Aktien USA und Aktien Europa. Zudem sind wir in Anlagethemen aus den Bereichen Technologie, Demographie und Healthcare investiert.

Heutige Marktentwicklung

Die Aktienmärkte eröffnen heute freundlich. Europäische Indices steigen um 0.5%. Der SMI gewinnt etwa 0.5%. An den US-Börsen wird heute ebenfalls eine etwa 0.5% höhere Eröffnung erwartet.

Angst ist kein guter Ratgeber

Wir wiederholen an dieser Stelle, dass Angst in diesem Umfeld kein guter Ratgeber ist. Wir haben uns sehr früh mit den Folgen einer Pandemie beschäftigt und können einen entsprechenden Notfallplan jetzt einsetzen. So wurden in den vergangenen Monaten zahlreiche mobile Arbeitsplätze vorbereitet. Alle unserer wichtigen Funktionen in der Vermögensverwaltung sind (mindestens) doppelt besetzt; die Kollegen arbeiten an verschiedenen Bürostandorten oder von zu Hause aus. In den Büros gelten besondere Hygienevorschriften. Geschäftsreisen wurden streng reglementiert, Präsenztermine sind durch Video- und Telefonkonferenzen ersetzt. All das sichert einen reibungslosen Arbeitsablauf – und begrenzt mögliche Infektionsrisiken für die Kolleginnen und Kollegen sowie deren Familien.

Wir raten an Aktienpositionen festzuhalten. Wir werden Sie dabei weiter laufend informieren. Für Fragen stehen wir gerne zur Verfügung.

Dr. Sandro Merino

Chief Investment Officer und Leiter BKB Asset Management

Erfahren Sie aus erster Hand die Einschätzungen unseres Chief Investment Officers, Dr. Sandro Merino, und überprüfen Sie Ihre Anlagestrategie mit Ihrer Kundenberaterin oder Ihrem Kundenberater.