Zu früh für eine Normalisierung der Wirtschaft

Die Massnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus zeigen erste Wirkung, doch für einen Neustart der europäischen Wirtschaft ist es zu früh. Zu gross ist das Risiko eines unkontrollierten Wiederanstiegs der Infektionen. Was sind die Voraussetzungen für eine Normalisierung? Sind die Rettungsmassnahmen der Eurozone ausreichend? Das heutige Update von Chief Investment Office Dr. Sandro Merino.
Am 14.04.2020 in CIO-Kommentar von Dr. Sandro Merino
Am diesem Dienstag nach dem Osterwochenende wird weltweit eine Zwischenbilanz zur Situation der Corona-Pandemie gezogen. Weltweit sind offiziell fast zwei Millionen Infektionen mit dem Covid-19-Virus bestätigt und es sind laut Johns Hopkins Universität weltweit etwa 120'000 Menschen offiziell erfasst, welche bisher an der neuartigen Lungenkrankheit gestorben sind.

In einigen Ländern wie Österreich oder Spanien werden heute erste vorsichtige Lockerungen des angeordneten Lock Down vorgenommen. Dabei ist die Befürchtung eines erneuten Anstiegs der Infektionsraten und dessen Vermeidung der Leitgedanke bei der Ausgestaltung der beschlossenen Lockerungsmassnahmen. Tatsächlich wird der vielerorts beobachtete Rückgang der Zahl der täglichen Neuinfektionen und der Fälle mit schwerem oder tödlichem Verlauf als die gewünschte Wirkung des Lock Downs beurteilt. Für eine breite Normalisierung des Wirtschaftslebens in den allermeisten Ländern Europas bleibt es aber noch viel zu früh. Frankreich beispielsweise hat die aktuellen strengen Isolationsmassnahmen bis zum 11. Mai verlängert. Auch in Italien gibt es ab heute nur geringfügige Lockerungen.

Ende des Lock Downs: Was Wissenschaftler empfehlen

Es besteht noch kein Konsensus über die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Normalisierung auf breiterer Basis beginnen kann. Es gibt aber einige Elemente die von Epidemiologen und Virologen oft genannt werden.

  • Die breite Verfügbarkeit von Tests, um Personen, welche die Infektion weiterverbreiten, frühzeitig zu erkennen.
  • Das Vorhandensein eines technischen und organisatorischen Dispositivs, um Infektionen zurückverfolgen zu können und um Infektionsherde rasch isolieren zu können.
  • Systematische serologische Tests, die es erlauben, fundiert festzustellen, welcher Teil der Bevölkerung mit dem Virus in Kontakt gekommen ist und inzwischen einen gewissen Grad von Immunität aufgebaut hat.
  • Das Vorhandensein von Massnahmen, welche die besonders exponierten Risikogruppen effektiv schützen. Je nach Land umfassen die Risikogruppen grob geschätzt etwa 10% bis 15% der Bevölkerung.
  • Die Bereitstellung von Masken und Desinfektionsmittel für den öffentlichen Verkehr und am Arbeitsplatz.

Das Risiko des unkontrollierten Wiederanstiegs

Die obigen Voraussetzungen erlauben einen Neustart der Wirtschaft - jedoch erst, nachdem die Infektionszahlen von den aktuellen Niveaus aus nochmals sehr stark gefallen sind.
Ohne das Vorhandensein obiger Massnahmen und ohne einen nochmaligen Rückgang der Fallzahlen muss von einem erneuten unkontrollierten Wiederanstieg der Neuansteckungen ausgegangen werden. Dies könnte dann in wenigen Wochen einen zweiten Lock Down erzwingen. Wirtschaftlich wäre ein zweiter Lockdown ein sehr ungünstiges Szenario.

Es ist schwierig zu beurteilen, wie weit die Krisenstäbe in Deutschland, in der Schweiz oder in Italien auf dem Weg zur Schaffung obiger Voraussetzungen fortgeschritten sind. Es ist aber denkbar, dass die obigen Voraussetzungen in den kommenden Wochen geschaffen werden könnten. An allen Themen wird ja inzwischen sehr intensiv erforscht und entwickelt.

Keine Lockerungen vor Anfang Mai

Wir erwarten aber nicht, dass eine signifikante Normalisierung vor anfangs Mai stattfinden kann. Die Hoffnung, dass Ostern eine Wende bringen würde, erweist sich heute mehr als Wunschdenken, als dass neue Fakten eine fundierte Neubeurteilung der Risikolage nach Ostern erlauben würden. Hasardeure, die jetzt eine Normalisierung auf Gut-Glück um jeden Preis fordern, argumentieren entweder ohne wissenschaftliche Fundierung oder sie sind bereit, die Gesundheit der Bevölkerung einem übergeordneten wirtschaftlichem Interesse zu opfern.

USA: Trump unter Druck

In den USA ist ein Kompetenzstreit um die Autorität des US-Präsidenten und der Kompetenzen der Bundessstaaten entbrannt. Neun US-Bundesstaaten, darunter Kalifornien, New-York und Pennsylvania haben sich zusammengeschlossen, um das weitere Vorgehen zu koordinieren. Insbesondere haben diese Bundesstaaten ihre in der Verfassung der USA verankerten Befugnisse gegenüber dem US-Präsidenten hervorgehoben, die Lockerung der Massnahmen selbst beschliessen zu können.

Donald Trump wurde in einem Artikel der New York Times und an der gestrigen Pressekonferenz im Weissen Haus ein zu spätes Reagieren und eine noch Ende Februar verharmlosende Haltung zum sich anbahnenden Gesundheitsnotstand vorgeworfen. Die USA sind das bisher am stärksten betroffene Land der Corona-Pandemie und es sterben weiterhin täglich fast 2000 Menschen am Covid-19-Virus. Donald Trump scheint nicht in der Lage zu sein, ein systematisches Bild der Lage oder einen Plan zum Stand der Erreichung obiger Voraussetzungen darlegen zu können oder darlegen zu wollen. Dies setzt ihn als obersten Krisenmanager der Nation politisch zunehmend unter Druck. Eine baldige wirtschaftliche Öffnung würde derzeit aber bereits am Widerstand vieler US-Bundesstaaten scheitern.

Solidarität in der Eurozone auf kleinstem gemeinsamen finanziellen Nenner

Das noch vor Ostern beschlossene Hilfspaket über 540 Milliarden Euro, das die Staatsfinanzen von Ländern der Eurozone, Unternehmen und nationale Arbeitslosenversicherungen stützen soll, kommt wie erwartet ohne Eurobonds aus. Dabei können die Euro-Mitgliedstaaten Kredite vom Europäischem Stabilitätsmechanismus (ESM) und der Europäischen Investitionsbank (EIB) ziehen und so die notwendigen Finanzierungen etwas günstiger als über die eigenen Staatsanleihen vornehmen. Die einzelnen Euro-Mitgliedstaaten können bis zu 2% ihres Bruttoinlandproduktes aus dem ESM als Kredite beziehen. Viele Beobachter erachten die Massnahmen als ungenügend in Anbetracht eines befürchteten Einbruchs der Wirtschaftsleistung in Frankreich oder Italien um etwa 10% für das laufende Jahr. Die Kontroverse um die ökonomischen Folgen der Corona-Krise für die Finanzen der Eurozone ist mit dem Beschluss vom Donnerstag somit nicht beigelegt. Die Ausgestaltung eines Investitionsprogramms der Eurozone für die Zeit nach Corona konnte nicht vor Ostern finalisiert werden und wird bald Gegenstand neuer Verhandlungen der Eurogruppe sein.

Unser Screening des Schweizer Aktienmarktes

Wir haben auf den rund 60 liquidesten Schweizer Aktien, die unser Analysten-Team mit Research abdeckt, ein kombiniertes qualitatives und quantitatives Screening durchgeführt. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass es trotz anhaltender Volatilität und möglichen erneuten Rückschlägen auch interessante Einstiegsmöglichkeiten gibt. Dabei muss aber ein mittelfristiger Anlagehorizont von mindestens zwei bis drei Jahren vorausgesetzt werden. Bei unserem Screening identifizieren wir elf Schweizer Aktien mit verschiedenen Risikoprofilen und aus verschiedenen Branchen, die uns derzeit attraktiv erscheinen. Wie immer warnen wir aber vor der Bildung von Klumpenrisiken und raten zu ausreichender Diversifikation. Die Auswahl einzelner Aktien als Beimischung zu einem diversifizierten Portfolio sollte also massvoll und umsichtig erfolgen.

Das Screening steht Ihnen gerne zur Verfügung. Sie können die Studie über Ihre Kundenberaterin oder Ihren Kundeberater beziehen.

Entwicklung an den Aktienmärkten

Am heutigen Dienstag eröffnen die weltweiten Aktienmärkte leicht positiv. Die europäischen Aktienmärkte sind etwa 1% im Plus. Der Schweizer SMI Index ist ebenfalls etwa 1% im Plus. Für die US-Aktienmärkte wird ebenfalls eine freundliche Eröffnung erwartet. US-Aktien verlieren seit Jahresanfang je nach Index (Dow Jones / Standard & Poors 500) aktuell etwa 14% bis 18%, europäische Aktien etwa 22%, Schweizer Aktien etwa 10% und chinesische Aktien (CSI 300 Index) etwa 7% (alle Zahlen per 14.4.2020 ca. 11.30 Uhr, Markbewegungen seit Jahresanfang in CHF bewertet).

Angst ist kein guter Ratgeber

Wir wiederholen an dieser Stelle, dass Angst in diesem Umfeld kein guter Ratgeber ist. Wir haben uns sehr früh mit den Folgen einer Pandemie beschäftigt und können einen entsprechenden Notfallplan jetzt einsetzen. So wurden in den vergangenen Wochen zahlreiche mobile Arbeitsplätze vorbereitet. Alle unserer wichtigen Funktionen in der Vermögensverwaltung sind (mindestens) doppelt besetzt; die Kollegen arbeiten an verschiedenen Bürostandorten oder von zu Hause aus. In den Büros gelten besondere Hygienevorschriften. Geschäftsreisen wurden streng reglementiert, Präsenztermine sind durch Video- und Telefonkonferenzen ersetzt. All das sichert einen reibungslosen Arbeitsablauf – und begrenzt mögliche Infektionsrisiken für die Kolleginnen und Kollegen sowie deren Familien.

Wir raten an Aktienpositionen festzuhalten. Wir werden Sie dabei weiter laufend informieren. Für Fragen stehen wir gerne zur Verfügung.

Dr. Sandro Merino

Chief Investment Officer und Leiter BKB Asset Management

Erfahren Sie aus erster Hand die Einschätzungen unseres Chief Investment Officers, Dr. Sandro Merino, und überprüfen Sie Ihre Anlagestrategie mit Ihrer Kundenberaterin oder Ihrem Kundenberater.

Rechtliche Informationen

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