Wieviel Kapitalismus und Privatisierung will sich China künftig leisten? Die Volksrepublik steht vor zentralen gesellschaftspolitischen Fragestellungen. Das verpasst dem dortigen Aktienmarkt einen deutlichen Dämpfer. Das Update von Anlagechef Dr. Sandro Merino.
In China regt sich gegenwärtig eine interessante gesellschaftliche Debatte um Fragen einer gerechten Umverteilung und der Steuerpolitik. Staatliche Massnahmen, um private Unternehmen aus Kernaufgaben des Staates wie der Bildung oder dem Gesundheitswesen zurückzudrängen, haben auch am chinesischen Aktienmarkt Spuren hinterlassen. Dass China kapitalistischer geworden sei, als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, war im letzten Jahrzehnt eine oft geäusserte Einschätzung.
Masslose Bereicherung der Reichen «nicht die Vision»
Jetzt gibt der Staats- und Parteichef Xi Jinping etwas Gegensteuer und stellt klar, dass das chinesische Gesellschaftsmodell auch resolut egalitäre Ziele verfolge. Die masslose Bereicherung der Erfolgreichen in einem «auf Teufel komm raus – Kapitalismus» sei nicht die Vision Chinas. Gerade die junge Generation leidet offenbar unter einem enormen Leistungsdruck und dem Zwang zum «ökonomischen Aufstieg um jeden Preis». Qualifizierte akademische Berufseinsteiger müssen oft mit zwölf Stunden-Arbeitstagen und mit einer sogenannten «Wolfsrudel Arbeitskultur» rechnen.
China ist zweifellos wirtschaftlich sehr erfolgreich und wird bis 2025 mit einem Pro-Kopf-Einkommen von über 12'536 USD der Weltbankdefinition einer Wirtschaft mit hohem Pro-Kopf-Einkommen genügen. Damit steigt China innerhalb von 50 Jahren von der «dritten Welt» in die «erste Welt» auf und dieser Aufstieg wurde und wird weiter sehr hart erarbeitet.
Antikapitalistische Protestbewegung der Jugend
Die in den chinesischen sozialen Medien entstandene Bewegung «Lying-flat» oder «sich-hinlegen-Bewegung» ist wohl eine Gegenreaktion und ein Ventil der Jugend auf den Leistungsdruck und die Erfolgserwartungen der chinesischen Gesellschaft. Eine Kernbotschaft der Bewegung lautet: «Kauf dir kein Eigenheim, kauf dir kein Auto, heirate nicht, hab keine Kinder und konsumiere nicht.» Diese Verneinung zeigt auch auf, was erfolgreiche und angepasste junge Chinesinnen und Chinesen heute zu leisten haben. Unsereins im Westen fühlt sich an die Gegenkultur der Hippies, an die Aussteiger-Bewegungen der Punks oder an die Anhänger einer radikal ökologischen Lebensweise erinnert.
Allerdings braucht es in China wesentlich mehr Mut, um als Jugendlicher rebellisch zu sein, als dies heute in Europa oder den USA der Fall ist.
Dabei entsteht, was wohl typisch ist für autoritär regierte Länder: eine subtile Art von Humor, der nicht auf offensichtliche Konfrontation mit den Mächtigen geht. Schon im antiken Griechenland entstand die Sage von Diogenes von Sinope: Er soll in einem Fass gewohnt und Alexander den Grossen gebeten haben, aus der Sonne zu treten, als dieser sich mit Diogenes unterhalten wollte. Die gutgemeinten Ratschläge an die chinesische Jugend seitens Xi Jinpings sind sicher etwas verbindlicher und im Kern weniger freundlich gemeint, als was Väter ihren eigenen rebellischen Kindern mitteilen.
Aktienmarkt reagiert auf Diskussion um sozialpolitische Ausrichtung
Die Kritik Xi Jinpings zu den negativen Aspekten eines konsum- und spassorientierten Lebensstils nach westlichem Vorbild zeigt aber auf, dass China vor zentralen gesellschaftspolitischen Fragestellungen steht. Ob «väterliche" Fürsorge das regeln wird, oder ob die chinesische Jugend doch eigene neue Wege gehen wird, bleibt heute offen. Die chinesische Führung scheint aber zu spüren, dass sie ihre sozialpolitische Ausrichtung anpassen muss, wenn eine stärkere Polarisierung der Gesellschaft in arm und reich vermieden werden soll. So sind Steuern auf Wohneigentum, Kapitalgewinn-Steuern, Erbschaftssteuern und höhere Steuersätze für Top-Verdiener zu einem Thema geworden.
Naturgemäss haben diese Entwicklungen dem chinesischen Aktienmarkt einen deutlichen Dämpfer versetzt. Dieser hat sich also dieses Jahr tatsächlich etwas «hingelegt».
Der chinesische CSI-Index verliert dieses Jahr fast 4%. Im Gegensatz dazu steigt der Schweizer SPI-Index dieses Jahr knapp 20% und der US S&P 500 Aktienindex sogar über 27%.
Die US-Notenbank bleibt locker gestimmt
Auch nach dem Treffen der Zentralbanker in Jackson Hole ändert sich am Ausblick für die US-Geldpolitik wenig und die US-Zinsen am langen Ende gaben sogar etwas nach. Die für die Aktienmärkte günstigen geldpolitischen Rahmenbedingungen bleiben also vorläufig erhalten.
Heutige Marktentwicklung und Anlagestrategie
Die Aktienmärkte eröffnen heute in Europa praktisch unverändert. Für die US-Aktienindices wird heute Nachmittag, nach den Gewinnen vom Freitag, ebenfalls eine wenig veränderte Eröffnung erwartet. (Stand ca. 13:15, 30.8.2021, Basel Zeit)

Dr. Sandro Merino
Chief Investment Officer und Leiter BKB Asset Management
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