Podcast: «Das kleinste Übel sind die Vereinigten Staaten von Europa.»

Zukunftsforscher Gerd Leonhard im Gespräch mit BKB Anlagechef Sandro Merino (3): Die Vereinigten Staaten von Europa

Wir stehen am Anfang einer exponentiellen Entwicklung der technologischen Möglichkeiten, ist Gerd Leonhard überzeugt. Im Gespräch mit BKB Anlagechef Dr. Sandro Merino plädiert der renommierte Zukunftsforscher für eine stärkere Regulierung der Technologie, mehr internationale Zusammenarbeit und ein vereintes Europa als Gegengewicht zu den USA und China.
Am 05.10.2020 in Podcast-Episoden von Raphael Vannoni
Die Gegenwart mit der Zukunft zusammenbringen und daraus Handlungsanweisungen für das hier und jetzt entwickeln: Das ist die Kernkompetenz des Futuristen Gerd Leonhard. Jetzt hat sich der renommierte Zukunftsforscher zum Expertengespräch mit Dr. Sandro Merino, dem Anlagechef der Basler Kantonalbank, getroffen.

Die Tech-Revolution hat erst begonnen

Obwohl es in den letzten Monaten zu Korrekturen an den Finanzmärkten kam, sieht Merino die Technologie-Firmen im Aufwind: «Die grossen Tech-Konzerne verfügen zusammen über eine höhere Marktkapitalisierung als die Schweizer Börse und haben während der Pandemie floriert». Auch für Leonhard ist klar: «Wir stehen am Anfang einer noch nie gekannten technologischen Umwälzung. Anwendungen wie Quanten-Computer, künstliche Intelligenz oder Handy-Batterien, die sechs Monate halten, sind in zehn Jahren wahrscheinlich Realität.»

Die Tech-Revolution macht auch vor der Finanzindustrie nicht Halt. Deshalb investiert die Basler Kantonalbank in innovative digitale Dienstleistungen und erprobt neue Geschäftsmodelle. Sind Plattformen, auf denen Angebote verschiedener Anbieter gebündelt werden, auch in der Finanzbranche denkbar? Leonhard ist skeptisch: «Fintechs springen zwar in Nischen. Aber als Finanz-Akteur muss man bedeutsam sein und die Kunden müssen einem vertrauen. Dazu kommt, dass diese Branche stärker reguliert ist als etwa die Musikindustrie.»

Mehr Regulierung von Tech, bitte!

Beide Experten glauben, dass Technologie ein Werkzeug sei, das man mit Bedacht einsetzen muss: «Kapitalistische Kräfte haben Tech-Firmen wie Facebook und Amazon erfolgreich gemacht. Jetzt stellt sich die Frage, wie wir damit umgehen», hält Merino fest. Leonhard pflichtet ihm bei: «In zehn Jahren können wir vielleicht unser Gehirn mit dem Internet verknüpfen oder sogar 150 Jahre alt werden. Aber wollen wir das? Und wie? Und wer soll davon profitieren?» Der Futurist hält eine stärkere Regulierung für unausweichlich. «Ich befürworte unter anderem eine Robotersteuer. Wenn durch den Einsatz von Robotern ein Mensch wegrationalisiert wird, könnte man damit finanzielle Mittel generieren, um etwa neue Ausbildungen zu entwickeln.»

Die Geschichte habe gezeigt, dass zuerst etwas schiefgehen muss, bevor der Mensch eine Technologie richtig einsetzt. «Es hat zwei Atombomben gebraucht, bis wir uns geeinigt haben, die Kernspaltung nicht als Waffe zu gebrauchen», präzisiert Leonhard. Auch bei der Pandemie hätten wir immer gewusst, dass so etwas kommt: «Trotzdem waren wir überhaupt nicht vorbereitet.»

Kampf der Systeme oder Kooperation

Europa, die USA und China repräsentieren unterschiedliche politische und wirtschaftliche Systeme. Ist eines davon besser für die Zukunft gerüstet? «Der einzige Weg vorwärts führt über internationale Kooperation. Die Bekämpfung des Klimawandels sowie die weltweite und gerechte Verteilung von Nahrungsmitteln und Wasser sind globale Themen. Entweder wir haben gemeinsam eine Lösung oder wir haben keine», bilanziert Leonhard.

Der Zukunftsforscher ist überzeugt, dass sich Europa als dritte Kraft neben den USA und China etablieren muss: «Der Weg des kleinsten Leidens sind die Vereinigten Staaten von Europa». Darin könnte auch die Schweiz als Zwergstaat mit 8,5 Millionen Einwohnern eine Schlüsselrolle spielen: «Das Land hat die internationale Kooperation bisher gut gemeistert», glaubt Leonhard. Und sollte es in der Zukunft einmal eine Weltregierung brauchen, so würde sich ja Genf als Sitz anbieten, fügt er schmunzelnd hinzu.

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Raphael Vannoni

Fachspezialist Kommunikation

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