Was war Ihr Anreiz, sich nicht nur politisch, sondern auch juristisch für die Lesbenorganisation Schweiz (LOS) einzusetzen?
Daneben war mir immer auch sehr wichtig, auf politischer Ebene etwas zu bewegen und die gesamtgesellschaftliche Situation zu verbessern. Deswegen habe ich Anfang der 1990er Jahre die Lesbenorganisation Schweiz mitgegründet, wo ich bis heute aktiv mitwirke – aktuell als Co-Präsidentin.
Wie hat sich die Situation von gleichgeschlechtlichen Paaren in den letzten 30 Jahren verändert?
Heute sind gleichgeschlechtliche Partnerschaften gesellschaftlicher Alltag, die Akzeptanz ist gestiegen, obwohl es immer noch Diskriminierungen gibt. Auch in rechtlicher Sicht hat sich viel getan: Ein grosser Meilenstein war sicherlich die Einführung der eingetragenen Partnerschaft auf nationaler Ebene im Jahr 2007. Diese bietet gleichgeschlechtlichen Paaren in vielen Punkten fast dieselben Rechte wie die klassische Ehe – vor allem in der Vorsorge und im Erbrecht.
Setzen sich homosexuelle Paare bewusster mit Vorsorgethemen auseinander als heterosexuelle Paare?
Wo sehen Sie in unserem Vorsorgesystem aktuell die grössten Nachteile für homosexuelle Paare?
Einen grossen Nachteil sehe ich zudem in der sogenannten Heiratsstrafe, die auch bei eingetragenen Partnerschaften zum Tragen kommt. Der steuerliche Nachteil ist besonders hoch, wenn beide in der Partnerschaft Vollzeit arbeiten bzw. beide Partnerinnen oder Partner ungefähr gleich viel verdienen. Bei gleichgeschlechtlichen Paaren gibt es diese Konstellation deutlich häufiger, weil Gleichberechtigung auch im beruflichen und privaten Bereich stärker gelebt wird oder sie kinderlos leben. Die hohe finanzielle Belastung durch die Heiratsstrafe hält viele Paare ab, eine eingetragene Partnerschaft einzugehen. Das ist insofern einschneidend, als das Vorsorgesystem sehr stark auf den Zivilstand ausgerichtet ist. Wenn ich verheiratet oder in eingetragener Partnerschaft lebe, bin ich viel besser abgesichert.
Welche rechtlichen Auswirkungen hätte ein Ja zur «Ehe für alle» in Bezug auf die Vorsorge? Hätten gleichgeschlechtliche Paare dann dieselben Voraussetzungen wie heterosexuelle Paare?
Drei Vorsorge-Tipps für gleichgeschlechtliche Paare von Nadja Herz
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1. Die beste Absicherung bietet klar die eingetragene Partnerschaft. Weil man so von Gesetzes wegen gut abgesichert ist. Allerdings empfiehlt es sich, die finanziellen Auswirkungen konkret zu prüfen, denn die steuerlichen Nachteile können erheblich sein. Auch die bei einer Eintragung reduzierte AHV-Rente ist zu berücksichtigen.
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2. Nicht eingetragene Paare brauchen unbedingt ein Testament. Auch bei eingetragenen Paaren ist ein Testament meist zu empfehlen. Im Hinblick auf den Todesfall ist eine eingetragene Partnerschaft sicher sinnvoll. Denn als unverheiratete Partnerin oder Partner zahlt man in vielen Kantonen hohe Erbschaftssteuern und hat weniger Spielraum, was den erbrechtlichen Pflichtteil angeht. Positiv auswirken wird sich auch hier die Reform des Erbrechts per 2023, wo die Pflichtteile von Kindern und Eltern reduziert resp. abgeschafft werden.
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3. Die Errichtung eines Vorsorgeauftrags und einer Patientenverfügung sind unbedingt empfehlenswert – und zwar unabhängig von Zivilstand und Alter. Das gilt für homo- und heterosexuelle Paare gleichermassen.
Nadja Herz
Rechtsanwältin und Co-Präsidentin der Lesbenorganisation Schweiz
Die Rechtsanwältin Nadja Herz ist auf Bau- und Immobilienrecht sowie die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare spezialisiert. Seit über 30 Jahren fungiert sie als Vertrauensanwältin für gleichgeschlechtliche Paare. Sie ist Co-Präsidentin der Lesbenorganisation Schweiz (LOS), die sie Anfang der 1990er Jahre mitgegründet hatte und wirkte aktiv am Zustandekommen des Gesetzes über die eingetragene Partnerschaft und an der Gesetzesvorlage zur Ehe für alle mit, über die wir am 26.09.2021 abstimmen werden.