Süsses Glück

23 Jahre jung war Rudolf Schiesser, als er vor 150 Jahren nach Basel kam, um eine Zuckerbäckerei zu eröffnen. Heute wirbelt sein Urenkel Stephan gemeinsam mit Frau Rosalba durch die Confiserie am Marktplatz. Eine Liebesgeschichte.
Am 16.07.2020 in Von Basel. Für Basel.
«Patisserie» und «Leckerly» stand in grossen Lettern auf dem Haus Nummer 15 am Marktplatz. Der Glarner Rudolf Schiesser hatte das Gebäude 1873, drei Jahre nach seinem Abschluss zum Konditormeister in St. Gallen, gekauft. Da er in der Ostschweiz keine Zukunft sah, emigrierte er mit 23 Jahren nach Basel. Hier verkaufte der Zuckerbäcker Glarner Pastetli und bald auch Läckerli – ein absoluter Luxus, denn Gewürze und Honig waren teuer. Es war zu der Zeit, als die Birsig noch offen durch die Stadt floss und sämtliche Abfälle der Privathaushalte und des nahe gelegenen Schlachthofs direkt in der Kloake entsorgt wurden. Man kann sich den Mief in etwa vorstellen, der damals in den Gassen rund um den Marktplatz hing. Jedenfalls: In Rudolf Schiessers Confiserie duftete es wie im Himmel. Nach Zimt, Zucker, Mandeln.

Nostalgischer Genusstempel

Die Umgestaltung des Marktplatzes um 1900 machte schliesslich entspanntes Promenieren durch die Innenstadt möglich – das stinkende Gewässer wurde überbaut. Kein Wunder also, liessen sich weitere Genusstempel hier nieder: 1914 eröffnete das Café Spillmann, wenig später das Café Singer. Die Familie Schiesser erweiterte 1915 mit Zunftstube und Tearoom. Im dunklen «Rathstübli» trafen sich fortan die Herren, um zu politisieren und Zigarre zu rauchen. Im hellen Tearoom genossen die Damen ihren Kaffee und ihr Liqueurchen für die gute Laune.

Das alles ist lange her. Unterdessen ist «der Schiesser » in Basel eine Institution. Ein Synonym für Genusskultur. Das Wohnzimmer der süssen Glückseligkeit. Hier bekommst du Kaffee, Pralinés und Kirschstängeli serviert von freundlichen Damen in weissen Schürzchen. Du sitzt an Tischen, auf Stühlen, unter Lampen, die vor hundert Jahren bereits hier standen und hingen – fein säuberlich restauriert natürlich. All das wirkt sympathisch altbacken. Soll es auch. Schliesslich ist die Tradition Teil des Schiesserschen Erfolgs. Ein Erfolg, der gemäss Stephan Schiesser, dem Urenkel von Rudolf, allerdings nur jemandem zu verdanken ist: Rosi, seiner Frau. Fragen wir hingegen sie, so antwortet sie mit leuchtenden Augen: «Ganz klar, unser Geheimnis ist Stephan! Ohne ihn wären wir heute nicht hier.» Die beiden sind verliebt. Ineinander und in ihr Werk.

Hingabe und gelebte Entschleunigung

Und dieses Werk bedeutet Hingabe. Denn am Ende hat der Erfolg vor allem mit einem zu tun: Mit Arbeit. Sieben Tage die Woche sind die beiden vor Ort, erreichbar für alle Wünsche und Fragen. Marketing, Personal, Buchhaltung; Stephan und Rosalba Schiesser machen alles selber. Und es gibt viel zu tun, um den Charmezu bewahren, der aus der Confiserie einen aus der Zeit gefallenen Ort macht. Einen Ort der gelebten Entschleunigung, der Nostalgie. Dabei hat das Unternehmen harte Zeiten erlebt: Spanische Grippe, Weltwirtschaftskrise, Krieg. Gab’s keine Mandeln, so verwendete man Aprikosenkerne zum Backen. «Vermutlich bereiteten die Mandeltörtchen damals dem einen oder anderen Kunden etwas Bauchweh, Aprikosenkerne haben nämlich ziemlich viel Blausäure …», schmunzelt Stephan Schiesser. Der Confiseur hat noch sämtliche handgeschriebenen Rezepte von einst und weiss, was in der Verzweiflung alles verarbeitet wurde.

Aprikosenkerne kommen heute nicht mal mehr in Notsituationen ins Gebäck. Dennoch: «Die aktuellen wirtschaftlichen Umstände stellen uns vor extreme Herausforderungen», meint Rosalba Schiesser. Und das alles im 150. Jubiläumsjahr. Mist. Aber Aufgeben gibt’s nicht. Tradition verpflichtet und ist Ansporn. «Unser Ziel ist es, das Unternehmen dereinst den Kindern zu übergeben. Die sind zwar erst neun und zwölf Jahre alt, zeigen aber bereits reges Interesse», so Stephan Schiesser. Auch er stand bereits als Bub gerne in der Backstube und übernahm das Erbe seiner Vorfahren mit Freude.

Die Passion für seinen Beruf hat er sich bis heute bewahrt. Ihm und seiner Frau Rosalba, Tochter einer süditalienischen Auswandererfamilie, ist es zu verdanken, dass die Confiserie Schiesser bis heute nachhaltig und mit grosser Sorgfalt geführt wird. Dabei könnte man meinen, das Konfliktpotenzial sei hoch, wenn man tagein, tagaus mit seinem Ehepartner zusammenarbeitet. Nicht so bei Stephan und Rosalba Schiesser. Das Gegenteil scheint der Fall. Als sie von den Anfängen ihrer Liebe und den damit verbundenen Turbulenzen erzählen, müssen sie dermassen lachen, dass die Kaffeetassen auf dem Holztisch im Tearoom leise klirren. Wie war das nochmal mit dem Geheimnis des Erfolges? Standort? Qualität? Nachhaltigkeit? Arbeit? Auch. Aber ohne Liebe funktioniert im Leben nichts.

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