Das Rahmenabkommen der Schweiz mit der EU ist gescheitert – an den Börsen bleiben Reaktionen vorerst aus. Der Wirtschaftsstandort Schweiz steht nun vor aussenpolitischen Herausforderungen - auch wegen den Äusserungen des neuen US-Präsidenten Joe Biden. Das CIO-Update von Dr. Sandro Merino.
Am 31.05.2021 in CIO-Kommentar von Dr. Sandro Merino

Der Bundesrat hat am 26. Mai den Abbruch der 2014 begonnenen Verhandlungen zu einem institutionellen Rahmenabkommen kommuniziert. Am Schweizer Aktienmarkt gab es auf diese überraschende Nachricht keine nennenswerte Reaktion. Sicherlich sollte man die wirtschaftliche Tragweite des Entscheides nicht an der kurzfristigen Reaktion an den Börsen messen. Man kann daraus höchstens ableiten, dass die kurzfristig messbaren Auswirkungen gering sind und dass die Wertschöpfung der 20 weltweit tätigen SMI-Unternehmen, die an der Schweizer Börse kotiert sind, offenbar nicht unmittelbar vom Gelingen dieser Verhandlung abhängt. Natürlich gibt es aber auch grosse Teile der Schweizer Wirtschaft, bei denen sich günstige und ungünstige Entwicklungen sowieso nicht einfach aus der Entwicklung eines Börsenindex ableiten lassen.

Dass im Gegensatz dazu der Brexit Entscheid vor 5 Jahren zu einer nachhaltigen Abwertung des Pfunds um etwa 15% geführt hat, legt nahe, dass ein Vergleich mit der Entwicklung in Grossbritannien wenig Gemeinsamkeiten mit der Schweizer Situation zum Vorschein bringt.

Der, zumindest vorläufige, Abbruch der Verhandlungen wird vor allem auf die innenpolitische Uneinigkeit zu zwei Themen zurückgeführt:

  • Lohnschutz: Das Rahmenabkommen regelt die Bestimmungen über die Entsendung von Arbeitnehmenden im Rahmen der zeitlich beschränkten Dienstleistungsfreiheit. Es blieb umstritten, ob die im Entsendegesetz separat geregelte Kontrolle der Einhaltung von Mindestlöhnen einen ausreichenden Lohnschutz bietet.
  • Die Unionsbürger Richtlinie (2004/38/EG): Diese Richtlinie wird im Rahmenabkommen und im Freizügigkeitsabkommen zwar nicht erwähnt, dennoch drehte sich die politische Diskussion in der Schweiz um die Frage, inwiefern das Rahmenabkommen zu einer Gewährung der Rechte aus der Unionsbürgerrichtlinie führen würde.

Dazu muss bemerkt werden, dass selbst zwischen EU-Mitgliedstaaten die grenzüberschreitende Gewährung von Sozialleistungen kein abgeschlossener Prozess ist.
Die Schweiz hätte künftige Regelungen bei der Weiterentwicklung des Freizügigkeitsabkommens verhandeln können. Solche Verhandlungen werden selbst ohne ein Rahmenabkommen unweigerlich nötig werden. Dieser Umstand erklärt die teilweise konsternierten Reaktionen seitens der EU auf den Verhandlungsabbruch der Schweiz.

Aussenpolitische Herausforderungen für den Wirtschaftsstandort Schweiz

Nicht nur die künftigen Beziehungen zur EU, auch die Aussagen Joe Bidens zum Thema Steueroasen und die Auflistung der Schweiz als Währungsmanipulator liessen in den letzten Wochen aufhorchen. Im Quartals-Bericht des US-Schatzamts zuhanden des US-Kongresses ist ein ganzer Abschnitt der Schweiz gewidmet. Zwar ist die Schweiz in der jüngsten Ausgabe nicht (mehr) als Währungsmanipulator klassifiziert, es wird aber festgehalten, dass alle Kriterien dafür sprechen: Aktivität der SNB, Handelsvolumen mit den USA, sowie Handelsbilanz – und Leistungsbilanz-Überschuss mit den USA.

Offenbar konnten die Gespräche mit den Schweizer Behörden für eine Glättung der Wogen sorgen. Es muss auch betont werden, dass die Absicht dieser Berichterstattung ursprünglich darin lag, China als Währungsmanipulator zu klassifizieren. Dies ergab sich ironischerweise durch einen deutlich aufwertenden Yuan-Reminbi am Ende aber doch nie. Dass die Schweiz jetzt mit einem vierseitigen Abschnitt in diesem Bericht auftaucht, ist eher ein unerwarteter und aus Schweizer Sicht wohl unglücklicher Nebeneffekt. Darin kann man auch nachlesen, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie für die Schweiz, zumindest aus US-Sicht, als ausgesprochen gering eingeschätzt werden.

Biden: Schweiz Steueroase für US-Unternehmen

Für mehr Aufregung sorgte hingegen Joe Bidens erste feierliche Rede im US-Kongress zum Zustand der Union Ende April. Darin bezeichnete er die Schweiz zusammen mit den Bermudas und den Cayman Inseln als eine Steueroase, die von vielen US-Unternehmen zu Unrecht ausgenutzt werde. Diese Aussage wurde postwendend durch die Schweiz entschieden kommentiert und präzisiert, indem man darauf hinwies, dass die Schweiz steuerlich alle internationalen Abkommen heute schon erfülle.
Dennoch ist Joe Bidens Vorstoss für einen weltweiten Mindeststeuersatz für Unternehmensgewinne von 21%, für die Schweiz ein Vorschlag, der bei Umsetzung zu deutlichen Anpassungen führen würde. Im Durchschnitt liegt der Steuersatz in der Schweiz bei etwa 15%.

Das Scheitern des Rahmenabkommens und die Beispiele, wie globale Interessen der USA mit traditionellen Standortvorteile eines kleinen Landes wie der Schweiz in Konflikt geraten könnten, zeigen, dass die aussenpolitischen Abhängigkeiten für die Schweiz in den nächsten Jahren eher zunehmen könnten. Insbesondere dann, wenn es wirtschaftliche Fragen in Zusammenhang mit Freihandel oder Steuerharmonisierung betrifft. Die EU hat durch den Austritt der Briten und durch einige Krisen aussenpolitisch an Gewicht gewonnen. Joe Biden setzt auf gute Beziehungen zur EU auch um US-Interessen gegenüber China und Russland wirkungsvoller vertreten zu können. Langfristig wird dieser Umstand auch für Investoren grosse Bedeutung haben. Wie sich die Schweiz in dieser komplizierter gewordenen Welt positionieren will, bedarf offenbar noch einiger Reflektion.

Heutige Marktentwicklung und Anlagestrategie

Die Aktienmärkte eröffnen heute in der Schweiz und in Europa wenig verändert. Der SMI verliert aktuell etwa 0.25 %. In den USA wird heute Memorial Day gefeiert und die Börsenaktivität ist dadurch reduziert. Unverändert halten wir in unserer Anlagestrategie - vorerst noch - an unserer deutlichen taktischen Übergewichtung von Aktien fest. (Stand ca. 14:25 31.5.2021 Basel Zeit)

Dr. Sandro Merino

Chief Investment Officer und Leiter BKB Asset Management

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