Warten auf Lockerungen für die Schweiz - Normalisierungsversuche auf dünnem Eis

Die Schweiz wartet gespannt auf Lockerungen des Lockdowns, wie sie Deutschland gestern verkündet hat. Wie risikoreich ist die beabsichtigte Normalisierung? Wie lange muss die limitierte Normalität aufrecht erhalten werden? Das Update zur derzeitigen Lage von Chief Investment Officer Dr. Sandro Merino.
Am 16.04.2020 in CIO-Kommentar von Dr. Sandro Merino

Nachdem gestern, nach Dänemark und Österreich, auch Deutschland erste vorsichtige Lockerungsmassnahmen beschlossen hat, wartet man heute auch in der Schweiz gespannt auf die Pressekonferenz des Bundesrates. Erste Schritte in die Normalisierung sollten heute bekanntgegeben werden. Ausserdem wird erwartet, dass wir mehr über die Strategie für die zweite Phase nach dem Lockdown erfahren werden. Die wichtigsten Massnahmen die in Deutschland beschlossen wurden sind:

  • Abstände müssen weiter eingehalten werden.
  • Kontaktbeschränkungen auf Familie, bzw. insgesamt zwei Personen bleiben bestehen.
  • Großveranstaltungen und auch Fußballspiele bleiben bis zum 31. August verboten.
  • Empfehlen Tragen von Schutzmasken im Öffentlichen Privaten Nahverkehr und beim Einkauf.
  • Schulen sollen ab dem 4. Mai wieder schrittweise und in Kleingruppen den Unterricht aufnehmen; zuerst Abschlussklassen. Kultusministerkonferenz der Länder soll bis zum 29.4. ein Konzept für Schulstart, Pausenplanung und Schulbustransport vorlegen.
  • Kleinere Läden bis 800m2 sollen ab dem 20. April wieder öffnen können.  

Eine offenbar wichtige und viel diskutierte Entscheidungsgrundlage für die deutsche Regierung ist das Positionspapier von Wissenschaftlern, welches unter der Initiative des deutschen Helmholtz Instituts verfasst wurde. Beteiligt waren dabei auch viele renommierte deutsche Forschungszentren für Angewandte Mathematik und Super-Computing. Die zusammenfassende Stellungnahme ist lesenswert. Die sogenannte zeitabhängige Reproduktionszahl R(t), welche als Modellparameter das Wachstum oder die Abnahme der Infektionszahlen beeinflusst, ist eine wichtige Grösse die es in einer modellbasierten Analyse der Corona Epidemie zu untersuchen gilt.

Lockerungen: Exponentielles Wachstum verhindern

In der Studie werden drei Szenarien beschrieben. Die deutsche Regierung verfolgt offenbar das Szenario 2: Durch Beobachtung der Fallzahlen sollen die Massnahmen soweit gelockert werden, so dass ein Rückfall in ein exponentielles Wachstum gerade noch verhindert werden kann. Oder salopp formuliert: Nach dem bisher erreichten Zwischenerfolg der Stabilisierung will man jetzt gerade so viele Lockerungen erlauben, so dass die Reproduktionszahl auch über die nächsten Wochen noch nahe beim Wert eins bleibt. Das Problem an dieser Strategie ist natürlich, dass niemand genau weiss, welche konkreten Lockerung gerade noch drin liegen, ohne dass das exponentielle Wachstum der Infektionszahlen wieder von neuem beginnt.

Limitierte Normalität auf unabsehbare Dauer

Ausserdem muss diese maximal mögliche, aber limitierte Normalität so lange aufrechterhalten werden, bis ein Impfstoff vorliegt oder wirksame Medikamente zur Verfügung stehen. Möglicherweise können diese unvermeidbaren Beschränkungen also noch ein Jahr oder auch zwei dauern. In diesem Szenario 2 wird die Belastung des Gesundheitssystems ebenfalls weiterbestehen. Die Natur der Virus wird also unsere maximale neue Freiheit bestimmen, nicht die Politik. Naive Versuche, dies zu ignorieren, führen möglicherweise rasch zu einer neuen exponentiellen Ansteckungsphase. Das ist leider eine sehr unbequeme Aussage der Wissenschaft, die aber zumindest in der deutschen Politik offenbar zur Kenntnis genommen wird.

In diesem Sinne ist die Rückkehr zur Normalität eine Art Experiment. Ein Experiment ohne gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse über die verfügbaren Freiräume,
welche genutzt werden können, ohne dass ein zweiter rascher Anstieg der Fallzahlen ausgelöst wird. Das postulierte Feedback-Prinzip würde allenfalls Freiräume auch wieder aufheben, um die Reproduktionsrate R(t) wieder unter den kritischen Wert von 1 zu steuern.

Asien: Reduzierung der Fallzahlen durch radikalen Lockdown

Interessant ist auch das Szenario 3, das die Wissenschaftler diskutieren: Ein möglicherweise relativ kurzer (4-8 Wochen), aber sehr radikaler Lockdown, bei welchem die Fallzahlen praktisch auf Null fallen müssten. Danach könnte man aber sehr deutlich lockern und durch intensives Testen und Zurückverfolgen der Fälle einen neuen Ausbruch dennoch kontrollieren.

Das ist wohl die Situation, in der sich China, Japan, Taiwan oder Südkorea gerade befinden. Diese Länder konnten die Fallzahlen in einem ersten drastischen Schritt auf sehr tiefe Werte bringen. Wir schliessen nicht aus, dass, falls die jetzigen Lockerungsversuche scheitern, am Ende das Szenario 3, also ein drastischer kurzer Lockdown, als Ultima Ratio auch von der Politik präferiert werden könnte. Wir hoffen aber, dass die kommenden Lockerungsversuche erfolgreich sind und diese Überlegungen hoffentlich Spekulation bleiben.

Hohes Risiko für erneuten Anstieg

Das feedbackbasierte Szenario 2, das in Deutschland angestrebt wird und vermutlich heute auch in der Schweiz gewählt wird, bleibt also ein Tanz auf dem Vulkan, bei welchem die Lockerung flexibel dosiert werden müssen, um einen erneuten Ausbruch zu vermeiden. Oder durch ein anderes Bild ausgedrückt: Normalisierungsversuche auf dünnem Eis.

Aufgrund der Natur des Problems, wie sie im Positionspapier des Helmholz Instituts beschrieben ist, erachten wir das Risiko eines erneuten Anstiegs als sehr hoch.  
Insbesondere das Risiko, dass in einzelnen Länder die Fallzahlen wieder rasch steigen könnten. Wäre dies beispielsweise in den USA oder in China der Fall, würden die Finanzmärkte wohl erneut stark negativ reagieren. Eine erneute rechtzeitige Anpassung unserer Anlagestrategie, bleibt also die Herausforderung an unser Asset Management. Wir verfolgen die Lage entsprechend sehr genau.  Die nächsten Wochen werden also entscheidend wichtig.

Unser Screening des Schweizer Aktienmarktes

Wir haben auf den rund 60 liquidesten Schweizer Aktien, die unser Analysten-Team mit Research abdeckt, ein kombiniertes qualitatives und quantitatives Screening durchgeführt. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass es trotz anhaltender Volatilität und möglichen erneuten Rückschlägen auch interessante Einstiegsmöglichkeiten gibt. Dabei muss aber ein mittelfristiger Anlagehorizont von mindestens zwei bis drei Jahren vorausgesetzt werden. Bei unserem Screening identifizieren wir elf Schweizer Aktien mit verschiedenen Risikoprofilen und aus verschiedenen Branchen, die uns derzeit attraktiv erscheinen. Wie immer warnen wir aber vor der Bildung von Klumpenrisiken und raten zu ausreichender Diversifikation. Die Auswahl einzelner Aktien als Beimischung zu einem diversifizierten Portfolio sollte also massvoll und umsichtig erfolgen.

Das Screening steht Ihnen gerne zur Verfügung. Sie können die Studie über Ihre Kundenberaterin oder Ihren Kundeberater beziehen.

Entwicklung an den Aktienmärkten

Am heutigen Donnerstag eröffnen die weltweiten Aktienmärkte positiv. Die europäischen Aktienmärkte sind etwa  0.8% im Plus. Der Schweizer SMI Index ist etwa 1% im Plus. Für die US-Aktienmärkte wird heute ebenfalls eine leicht positive Eröffnung erwartet. US-Aktien verlieren seit Jahresanfang je nach Index (Dow Jones / Standard & Poors 500) aktuell etwa 14% bis 18%, europäische Aktien etwa 25%, Schweizer Aktien etwa 11%  und chinesische Aktien (CSI 300 Index) etwa 7% (alle Zahlen per 16.4.2020 ca. 12.00 Uhr, Markbewegungen seit Jahresanfang in CHF bewertet).

Angst ist kein guter Ratgeber

Wir wiederholen an dieser Stelle, dass Angst in diesem Umfeld kein guter Ratgeber ist. Wir haben uns sehr früh mit den Folgen einer Pandemie beschäftigt und können einen entsprechenden Notfallplan jetzt einsetzen. So wurden in den vergangenen Wochen zahlreiche mobile Arbeitsplätze vorbereitet. Alle unserer wichtigen Funktionen in der Vermögensverwaltung sind (mindestens) doppelt besetzt; die Kollegen arbeiten an verschiedenen Bürostandorten oder von zu Hause aus. In den Büros gelten besondere Hygienevorschriften. Geschäftsreisen wurden streng reglementiert, Präsenztermine sind durch Video- und Telefonkonferenzen ersetzt. All das sichert einen reibungslosen Arbeitsablauf – und begrenzt mögliche Infektionsrisiken für die Kolleginnen und Kollegen sowie deren Familien.

Wir raten an Aktienpositionen festzuhalten. Wir werden Sie dabei weiter laufend informieren. Für Fragen stehen wir gerne zur Verfügung.

Dr. Sandro Merino

Chief Investment Officer und Leiter BKB Asset Management

Erfahren Sie aus erster Hand die Einschätzungen unseres Chief Investment Officers, Dr. Sandro Merino, und überprüfen Sie Ihre Anlagestrategie mit Ihrer Kundenberaterin oder Ihrem Kundenberater.

Rechtliche Informationen

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