Nächste Staatsfinanzkrise um die Ecke?

Konjunktur- und Notprogramme haben in wirtschaftlichen Krisenzeiten Hochkonjunktur. Das ist in der Corona-Krise nicht anders.
Am 19.08.2020 in N° 2/2020 von Dr. Rolf Wetzer, Finanzanalyst und Maurizio Gagliano, Portfoliomanager

Die Programme zur Abfederung der Corona-Krise sind beinahe täglich gewachsen. Staaten unterstützen Familien, Mieter oder Gastronomen, schicken Schecks, bezahlen Kurzarbeit und Arbeitslosengeld, retten Firmen, fördern eine Vielzahl von Branchen, setzen Handwerkerprogramme auf, finanzieren Computer von Schulen und senken Steuern. Zudem stellen Notenbanken unbegrenzt Mittel zur Verfügung – und wollen noch mehr tun, sollte dies nicht reichen. Gleichzeitig haben mehr als 100 Staaten beim Internationalen Währungsfonds (IWF) Notkredite beantragt. Dazu kommen Hilfspakete der OECD, der EU und von anderen Organisationen.

Geld- und Fiskalpolitik mit rekordhohen Hilfsprogrammen

Mehr als acht Billionen Dollar haben die Regierungen nach Schätzungen des IWF bis Juni mobilisiert. Um dies ins Verhältnis zu setzen: Gemessen an der Steuerlast des Median- Lohns müssten alle Arbeitnehmer der Schweiz rund 200 Jahre arbeiten, um diese Beträge in Form von Steuern aufzubringen. Von den Industrieländern nimmt Japan den grössten «Schluck aus der Pulle» und fördert sich mit 40 % seiner Wirtschaftsleistung. Deutschland gibt 35 % aus, die USA 15 % und Italien 7 %. Dabei ist wichtig, dass ein Grossteil der Programme aus Krediten und Bürgschaften besteht und somit erst einmal nicht zu einer steigenden Verschuldung der Staaten führt.

Staatspleiten sind keine Seltenheit

Erinnern wir uns an die letzte Krise: Auf die Schieflage von Banken im Zuge der Finanzkrise 2008/2009 wurde mit einer enormen Menge an zusätzlichem Geld und damals noch unvorstellbar grossen Hilfspaketen reagiert. Auf eine Wirtschaftskrise folgte in Europa eine Staatsschuldenkrise. Droht nach nur zehn Jahren eine Wiederholung? Die heutige Talfahrt wird mit noch mehr Geld bekämpft. Die Verschuldung steigt wie sonst nur in Kriegszeiten. Können Staaten Pleite gehen? Die Antwort darauf heisst: Ja! Staatspleiten sind wie Luxuskarossen – man sieht sie selten und doch sind sie ständig unterwegs. Die Geschichte von gebrochenen staatlichen Rückzahlungsversprechen reicht weit zurück und betrifft fast jeden Staat (Abb. 2). Oftmals waren die Staaten Wiederholungstäter.

Staatspleiten sind wie Luxuskarossen – selten und doch ständig unterwegs.

Allgemein identifiziert man fünf typische Auslöser für Überschuldungskrisen:

  • politische Umwälzungen oder Willkür
  • ausufernde Notenpresse finanziert historische Ereignisse oder Konjunkturprogramme
  • teure Koppelung der eigenen Währung an eine Leitwährung oder einen Rohstoff
  • exzessive Verschuldung in einer fremden Währung ohne entsprechendes Einkommen
  • sinkendes Einkommen und steigende Ausgaben in Wirtschaftskrisen

Die Folgen von Überschuldungskrisen gleichen sich. Wirtschaftlich folgen oft eine starke Geldentwertung bis hin zur Währungsreform, Massenarbeitslosigkeit, eine Verschlechterung der Kreditqualität, ein Run auf die Ersparnisse und ein Stillstand im Handel. Politische Folgen reichen von Chaos im Land mit Plünderungen, Generalstreiks bis hin zu Umstürzen und Staatsfusionen. Praktisch alle Aufstände und Umstürze in Europa sind aus einer Situation der Überschuldung entstanden. Leidtragende waren immer die Bürger. Kommt es nicht zu einer radikalen Schuldenlösung, leiden sie unter den niedrigen Zinsen. Spart der Staat, kann er Steuern und Abgaben erhöhen oder Vermögen einziehen. Kommt es zum Schuldenschnitt oder zur Hyperinflation, verliert der Sparer sein Guthaben. Die aufgetürmten Schuldenberge sind inzwischen in absoluten Zahlen sehr hoch. Staaten haben prinzipiell fünf Optionen, wie sie damit umgehen können. 

5 Optionen zum Umgang mit Überschuldungskrisen

  1. Weiter so: Die Politik verschuldet sich künftig weiter in der eigenen Währung. Gemäss der «modernen Geldtheorie» kann ein Staat dann nicht Pleite gehen.
  2. Sparen: Der Staat erhöht die Einnahmen und senkt die Ausgaben. Es gibt kaum historische Beispiele dafür.
  3. Wachstum: Ist das Wachstum höher als der Zins, lässt eine milde Inflation den Schuldenberg langsam von alleine schmelzen.
  4. Hyperinflation: Alle Verbindlichkeiten werden in kurzer Zeit wertlos. Allerdings zum Preis von wirtschaftlichen Verwerfungen.
  5. Schuldenschnitt: Ein Zahlungsstopp, der häufig noch mit der Einführung von sogenanntem Fiat-Geld, einem Zahlungsmittel ohne inneren Wert, einhergeht.

Tiefe Zinsen relativieren das Risiko einer erneuten Schuldenkrise

Trotz der expansiven Politik entsteht bislang weder Inflation noch steigen die Zinsen. Schulden sind tragfähig, solange die Zinsen bezahlt werden. Daher sollten wir uns auf eine sehr lange Phase tiefer Zinsen einstellen, ohne dies als selbstverständlich anzunehmen. Die aktuell sehr tiefen Zinsen relativieren das Risiko einer erneuten Schuldenkrise. Es macht einen Unterschied, ob Staaten 5 % oder 10 % für Kredite zahlen müssen oder ob sie diese faktisch zum Nulltarif erhalten. Vor diesem Hintergrund ist momentan die Wahrscheinlichkeit gering, dass eine nächste Staatsfinanzkrise um die Ecke lauert.

Der Blick zurück lehrt: Wann immer neue Schulden dazu dienten, alte Schulden zu begleichen, brach das Schneeballsystem zusammen. Es gilt deshalb, ein wachsames Auge auf die weitere Entwicklung zu haben. Ein Sprichwort sagt: Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Die Menschen in Argentinien, Venezuela oder Simbabwe können ein Lied davon singen. Auch Politiker hatten dies schon einmal erkannt. Das G20- Treffen in Toronto forderte 2010, die jährlichen Defizite bis 2013 zu halbieren und die Schulden relativ zur Wirtschaftsleistung bis 2016 zu verringern. Passiert ist in aller Regel das Gegenteil.

Abb. 2: Staatspleiten im Zeitablauf

Quelle: BKB, Reinhart/Rogoff

1810

Frankreich

1820

England, Argentinien, Spanien, Russland

1830

England, Spanien

1840

Spanien, Deutschland

1850

Spanien

1860

USA, Spanien, Italien

1870

Spanien

1880

England, Spanien

1890

Argentinien

1910

Argentinien, Italien

1930

Deutschland, USA, England, Kanada, Argentinien, Spanien

1940

Japan, Italien

1950

Japan

1970

USA, England

1980

Argentinien

1990

Argentinien, Russland

2010

Argentinien

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