Gordana Jovanovic (47): «Das 'Schoofegg' ist meine Familie.»

Gordana Jovanovic (47) führt das Basler «Schoofegg», die älteste Beiz der Stadt. Sie lächelt fröhlich in die Kamera – so ist sie nun mal. Die sympathische Wirtin besass schon immer ein lebensfrohes Gemüt. Doch wie erging es dem Fasnachts-Urlokal in der Zeit, als die Gastrobranche ihr bisher wohl allergrösstes Tief erlebte? Anfang Jahr, am zweiten Tag der abgesagten Fasnacht und mitten im Lockdown sprach Gastroseelsorger Bernd Jungen (64) mit Gordana.

Am 11.06.2021 in Von Basel. Für Basel. von Bernhard Jungen

Gordana, du siehst müde aus ...

Gestern, am ersten Tag der «Nichtfasnacht», ging die Post ab, das war wunderbar. Aber sonst geht es mir nicht gut, mir fehlen die Kontakte. Ich sitze nur in meiner Wohnung hier im Schafeck, das hat meiner Gesundheit und Figur geschadet. Meine Küche wird im Normalbetrieb für die Zubereitung unseres bekannten Fondues gebraucht. Könnt ihr euch das vorstellen mit diesen Treppen? Allein dieses Training fehlt mir seit fast einem Jahr. Aber wie könnte ich mich bewegen, an ein Konzert gehen etwa? Es ist ja alles geschlossen. Ich schütze mich und andere so gut ich kann, jetzt wegen der Mutationen sowieso.

Vor dem Krieg in Montenegro und Dubrovnik konnte ich fliehen, aber wohin können wir fliehen vor dem unsichtbaren Virus? Zudem mache ich mir Sorgen, wie ich Löhne und Mieten bezahle. Das Schlimmste ist aber die schockierende Erfahrung, dass sich die Welt von einem Tag auf den andern völlig geändert hat und kein Stein auf dem anderen geblieben ist.

Corona verändert nicht nur die Gastronomie...

Es verändert alles! Weshalb kann ich zurzeit für meinen Enkel zwar im Supermarkt Hosen kaufen, aber die Spielzeugautos im Gestell daneben sind abgeklebt? Sollen etwa Kinder jetzt nicht mehr spielen dürfen? Wie lange geht das noch so weiter? Wir sollten sofort alle impfen, nicht nur die Ältesten. Vielleicht bringt das die Lösung für die Gastronomie. Dann würden die Menschen ihre Angst verlieren.
Das «Schoofegg» gilt als die älteste Baiz Basels, wir feiern dieses Jahr den 547. Geburtstag. 
Gordana Jovanovic (47), Restaurant Schafeck Basel

Am Schafeck hängt deine persönliche Existenz.

Zum Glück habe ich in 30 Jahren Gastronomie ein bisschen gespart. Ich betreibe das Schafeck mit vier Angestellten im dritten Jahr, während mein Partner sich um allen Bürokram kümmert. Vorher habe ich die Sonne an der Rheingasse geführt - keine 100 Meter von hier.

Die Gäste vom «Schoofegg» kannte ich bereits, es war schon lange meine Traumbaiz. Sie ist ein wahres Bijou im «Glaibasel», eine richtige Clique-Baiz, das Fasnachts-Urlokal der Stadt, wenn du es so nennen willst. Das «Charivari» wurde 1975 hier gegründet, ich habe davon Urkunden. Das «Schoofegg» gilt als die älteste Baiz Basels, wir feiern dieses Jahr den 547. Geburtstag. Hier ist meine Familie. Ich wurde sogar Olymper-Mitglied, als einzige Frau in der ältesten Herrengesellschaft der Stadt. Was für eine Ehre!

Umso mehr schmerzt eine Zwangsschliessung.

Im Januar 2020 herrschte Hochbetrieb wie immer. Wir konnten zum Glück im Schafeck an den Erfolg unserer Vorgänger anknüpfen. Das Charivari hat noch wie gewohnt stattgefunden. Dann plötzlich die Absage der Fasnachtsumzüge und Schnitzelbänke und eine Woche später der Lockdown. Nach Jahrzehnten im Dauerkontakt mit der halben Stadt sitze ich plötzlich allein in der Wohnung. Meine Tochter war im Frühlingslockdown hochschwanger, nicht einmal sie durfte ich noch sehen. Womit willst du diese Leere ausfüllen? Zum Glück war nicht alles rund um die Fasnacht verboten, sodass viele Gäste noch ein wenig feiern konnten. So hatte ich eine kleine Schonfrist, um mich auf den Stillstand einzustellen.

Auf einen warmen Sommer folgte ein milder Herbst.

Die Stammcliquen kamen weiterhin. Ich hatte manchmal das Gefühl, ich wäre die Einzige, die noch an Corona dachte. Draussen konnten wir nur vier Tische aufstellen. Stehen, etwa an einer Bar, war in Basel nicht gestattet. Es kann sich niemand vorstellen, mit wie viel Widerstand sich die Leute drinnen registrieren. Ältere Gäste haben nicht einmal ein Smartphone für die Registrationsapp. Wir sind eine riesengrosse Cliquen-Familie. Jetzt zum Beispiel höre ich meine Gäste unten auf der Strasse. Ich erkenne alle einzeln an ihrer Stimme. Soll ich meine eigene Familie kontrollieren?
Vor dem Krieg in Montenegro und Dubrovnik konnte ich fliehen, aber wohin können wir fliehen vor dem unsichtbaren Virus? 
Gordana Jovanovic (47), Restaurant Schafeck Basel

Du bist wahrlich wie der «gute Hirte», der seine Schafe an der Stimme erkennt. Hast du hier deine Berufung gefunden?

In Montenegro habe ich die Ausbildung zur Primarlehrerin gemacht. Wegen dem Krieg zog ich zu einem Onkel nach München, wo ich meinen Basler Ex-Mann kennenlernte. Als ich wegen ihm in Basel anfing, sprach ich mit meinen Gästen Italienisch, weil ich kein Wort Deutsch konnte. Meine Mutter ist Italienerin. Die Gastronomie ist meine Bestimmung, darum habe ich schon vor 21 Jahren den Wirtekurs absolviert. Wenn das Herz dabei ist, lernt man leicht. Ich würde diesen Berufsweg wieder einschlagen und finde es schlicht sensationell, dass ich als Ausländerin diese Traditionsbaiz führen darf.

Du gähnst: Fasnachts-, Frühlings- oder Coronamüdigkeit?

Ich mache mir vor allem finanzielle Sorgen. Im zweiten Jahr sind diese viel grösser als die Angst vor Covid und der Pandemie. Ich fühle mich allein und kann nicht abmachen mit guten Freunden. Ich setze meine Hoffnung auf die Impfung.

Nach dem Abstieg über die fast halsbrecherische Treppe offeriert uns Gordana auf dem Schafgässlein ein Warteck. Bald wieder hüpft sie buchstäblich von einer Gästegruppe zur nächsten, sie grüsst, scherzt, vernetzt uns mit Gästen. Jede Müdigkeit ist verflogen.

Bernhard Jungen

Gastroseelsorger & Pfarrer

Bernhard Jungen (64) ist Gastroseelsorger. Seit Jahren ist er als «Seelsorger der Seelsorgenden» unterwegs zu den Menschen, die im Gastgewerbe arbeiten. Hauptberuflich ist er Barkeeper-Pfarrer der Unfassbar, einem Bier-Mobil auf drei Rädern, das während der Krise auch vom Lockdown betroffen ist. Der Autor des Interviews arbeitete während der Pandemie an seinem Buch «Unfassbar – Wie die Basler Gastronomie der Krise trotzt» - einer Sammlung von 25 Interviews mit Basler Gastronomen über ihre Situation in Zeiten der Pandemie.

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