Raus aus der Gewaltspirale: Das Frauenhaus beider Basel

«Es freut uns, wenn die Frauen ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen.»

Darüber, dass immer noch zu viele Frauen zu Hause Gewalt erfahren müssen, redet man heute noch zu wenig. Lia (44, Name von der Redaktion geändert) arbeitet seit mehreren Jahren im Frauenhaus beider Basel und ist sich sicher: Weggehen ist möglich. Es gibt für jede Frau immer einen Ausweg aus der Gewaltspirale.

Am 29.11.2020 in Von Basel. Für Basel. von Ekaterina Cámara

Auf der Webseite des Frauenhauses beider Basel wird man nie eine Adresse finden. Hierhin gelangt man ausschliesslich auf folgende Weise: Am Telefon wird ein Treffpunkt vereinbart, zu dem sich die in Not geratene Frau zu einer abgesprochenen Zeit begibt. Hier wird man von einer Mitarbeitenden des Frauenhauses empfangen und sicher zum anonymen Standort gebracht. Wo dieser Ort sich befindet – das bleibt der Öffentlichkeit zum Schutz der Betroffenen verborgen. So muss keine der Frauen Angst haben, dass man sie und ihre Kinder hier findet. Auch Besuche von Verwandten und Bekannten sind hier deshalb nicht möglich, denn die Frauen verpflichten sich, die Adresse nicht weiterzugeben. So sind hier die Spielregeln. «Den ersten Schritt – den Anruf – müssen die Frauen selbst erledigen, doch ab diesem Zeitpunkt wird ihnen geholfen», sagt Lia* – eine Mitarbeitende des Frauenhauses. 

*Name von der Redaktion geändert

Bereits seit ihrer Jugend übte Lia am liebsten soziale Tätigkeiten aus. Vor über 20 Jahren machte sie die Ausbildung zur Sozialpädagogin und war in der Kinder- und Jugendhilfe tätig. Ein damaliger Arbeitsschwerpunkt: die Arbeit mit Mädchen und jungen Frauen. «Das hat mir schon immer am meisten gefallen», sagt sie. Und auch hinter der sogenannten 'parteilichen' Arbeit mit Frauen im Frauenhaus steht Lia. Auch wenn diese überaus intensiv sein kann.

«Am Morgen hast du oftmals keine Vorstellung, was dich am Tag alles erwartet. Du gehst zur Arbeit und gehst davon aus, dass du gewisse Dinge tun wirst, doch dann kommt es plötzlich ganz anders. Wir sind eine Kriseninterventionseinrichtung. Bei uns passiert immer viel Unerwartetes, man muss schnell reagieren können.»

Bei uns passiert immer viel Unerwartetes. Man muss schnell reagieren können.
Lia* (Name von der Redaktion geändert)

Wer wohnt eigentlich vorübergehend im Frauenhaus?

Was für Frauen sind es nun eigentlich, die sich vorübergehend im Frauenhaus aufhalten? «Das ist sehr unterschiedlich. Wir sind sehr breit diversifiziert. Von jung bis alt, unabhängig von Einkommen, Kultur und Herkunft – bei uns gibt es alles», konstatiert Lia. «Es ist wirklich ein Klischee, dass häusliche Gewalt nur in Familien, die in prekären Verhältnissen leben, vorkommt. Wenn man hier arbeitet, merkt man: Häusliche Gewalt passiert wirklich überall. Leider», fügt sie an. Dabei kann diese sehr unterschiedliche Formen annehmen. Gewalt kann physisch sein, psychisch oder gar ökonomisch. «So bedeutet ökonomische Gewalt beispielsweise eine komplette Abhängigkeit vom Ehemann, Partner, Angehörigen oder von einem ganzen Familiensystem, in dem der Frau der Zugang zu finanziellen Mitteln verweigert wird. Selbst wenn sie ihr eigenes Geld verdient», erklärt Lia. «Auch junge, volljährige Frauen, die von einer Zwangsheirat bedroht sind, finden bei uns vorübergehend Unterkunft und Beratung. Schlimm ist jede Form von Gewalt. Sie ist – ganz egal in welcher Form – inakzeptabel und für die betroffenen Frauen und Kinder folgenschwer.»
Schlimm ist jede Form von Gewalt. Sie ist – ganz egal in welcher Form – inakzeptabel und folgenschwer.
Lia* (Name von der Redaktion geändert)

Fehlendes Mittel sind kein Hinderungsgrund

Ist eine Frau finanziell nicht abgesichert, kann sie trotzdem ins Frauenhaus kommen. Frauen in Notlagen können das Frauenhaus jederzeit kontaktieren. Für Frauen, die vermögend sind oder ein geregeltes Einkommen haben, ist der Aufenthalt bis zum 35. Tag kostenlos. Bleibt man länger, kann es sein, dass ein Selbstkostenbetrag erhoben wird.

Im Frauenhaus, das nach dem Prinzip einer Wohngemeinschaft funktioniert, bekommt jede Frau ihr eigenes Zimmer, welches sie alleine oder mit ihren Kindern bewohnen darf. Das Alter der Kinder spielt dabei keine Rolle. Jedes Kind darf mit. Das Kochen teilt man sich unter den Bewohnerinnen auf. Gefrühstückt wird individuell, das Mittag- und Abendessen nehmen die Bewohnerinnen gemeinsam ein. Für Kinder ab zwei Jahren ist hier zudem ein Spielangebot verfügbar.

Der Leistungsauftrag des Frauenhauses beider Basel

Die drei wichtigsten Funktionen des teilweise staatlich subventionierten und zum anderen Teil durch Spenden finanzierten Frauenhauses sind Schutz vor weiterer Gewalt, persönliche Beratung und die vorübergehende Unterkunft. Frauen können hier zur Ruhe kommen und sich dann in einem gewaltfreien und ruhigen Umfeld mit ihrer Lebenslage auseinandersetzen. Dabei ist ein Ziel: einen Weg aus einem gewaltgeprägten Leben – aus der Gewaltspirale, die für viele der Frauen bereits zu etwas 'Normalem' geworden ist – für sich und ihre Kinder zu finden. Kinder sind nicht nur Zeugen häuslicher Gewalt – sie sind direkt betroffen. Bei dieser für die Betroffenen oft sehr schweren Aufgabe greifen Beraterinnen unter die Arme und zeigen verschiedene Wege zu einem selbstbestimmten Leben auf.

Ob jede Frau es schafft, auch auf lange Sicht aus einer gewaltgeprägten Beziehung auszubrechen? «Ich kann das leider nicht bejahen», sagt Lia. «Nicht immer ist das der Fall.» Deshalb freut es sie, wenn Frauen ihr Selbstwertgefühl wiederaufbauen und ihre Selbstbestimmtheit zurückerlangen. «Ich wünsche mir sehr, dass jede Frau, die einmal in Not war – egal, wie schlimm es für sie gewesen ist – so schnell wie möglich wieder selbstbestimmt handeln kann. Und wenn sie uns braucht, sind wir immer da.»

Jede Frau, die wir aus Kapazitätsgründen abweisen müssen, ist eine zu viel.
Lia* (Name von der Redaktion geändert)

Das Frauenhaus in Zeiten der Pandemie

Der Lockdown im Frühling und die zunehmende Isolation in der zweiten Jahreshälfte während der zweiten Welle führten dazu, dass die ohnehin schon beschränkte Kapazität an Schutzplätzen nicht ausreichte. Jedoch häuften sich gerade in dieser Zeit die Anrufe und die häusliche Gewalt nahm zu. Die Ungewissheit über die Dauer der Krise, das Leben auf engem Raum und fehlende Ausweichmöglichkeiten bei Konflikten in der eigenen Wohnung sind mögliche Ursachen für häusliche Gewalt in Krisenzeiten. Die Stiftung Frauenhaus beider Basel fühlte sich zum Handeln verpflichtet: Um weniger Frauen abweisen zu müssen und in der gegenwärtigen Krise vor Gewalt zu schützen, schuf man eine temporäre Not-Unterkunft mit weiteren Schutzplätzen. «Wir sind froh, dass wir nun für mehr Frauen Platz haben. Und doch ist jede Frau, die wir aus Kapazitätsgründen auch jetzt noch ablehnen müssen, eine zu viel», sagt Lia nachdenklich. «Das Ziel müsste es sein, genügend Schutzplätze zu haben. Nein sagen zu müssen, wenn jemand Schutz braucht, ist nicht immer einfach. Denn wir wissen nicht, was die Folgen davon sind.» Schutzsuchende Frauen, die keinen Platz im Frauenhaus finden, werden an Fachstellen weitervermittelt.

Welche Veränderungen plant man im Frauenhaus in Zukunft? «Wir haben verschiedene Ideen und Pläne. Wir sind laufend am Optimieren und hoffen, dass wir irgendwann soweit sind, dass wir wirklich immer alle Frauen aufnehmen können, die bei uns Schutz suchen.»

Das Frauenhaus bietet gewaltbetroffenen Frauen…

  • …den Schutz vor weiterer Gewalt von Ehemann oder Lebenspartner oder erweitertem Familienkreis
  • …persönliche Beratung und Begleitung
  • …eine vorübergehende Unterkunft (auch mit Kindern)



Die Stiftung Frauenhaus beider Basel

Die Stiftung Frauenhaus beider Basel zum Schutz misshandelter Frauen und Kinder wurde am 4. November 1980 gegründet und ist eine gemeinnützige Stiftung. Ihr Ziel ist es, zur Verminderung von Gewalt gegen Frauen und deren Kinder ideell und materiell beizutragen. Die Stiftung bezweckt das Bereitstellen von Angeboten, die psychisch und physisch misshandelten Frauen und deren Kindern Schutz, Sicherheit und Beratung bieten. Die Stiftung ist Trägerin des Frauenhauses beider Basel, welches am 8. Juni 1981 eröffnet wurde.

Das Frauenhaus beider Basel finanziert sich zu einem grossen Teil durch Spenden und ist dankbar für jede Unterstützung. Auch Sachspenden sind nach Absprache möglich und gerngesehen.

Ekaterina Cámara

Redaktion

socialmedia@bkb.ch
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