«Helden von Basel» #6: Valentin (29) Wir sagen DANKE!

Valentins (29) Job ist der Traum vieler: Er ist Pilot. Als seine Fluggesellschaft ihre Flüge nach Beginn von COVID-19 auf unbestimmte Zeit aussetzte, meldete er sich als Freiwilliger beim BackwarenOutlet Basel, das Broten und Backwaren ein zweites Leben schenkt. Wie diese Entscheidung sein Leben nachhaltig veränderte? Er hat es uns erzählt.
Am 04.07.2020 in Von Basel. Für Basel. von Ekaterina Cámara

«Das Fliegen übte auf mich schon immer eine Faszination aus», schwärmt Valentin. Als er mit 14 Jahren das Segelfliegen zum ersten Mal für sich entdeckte, wurde ihm schnell klar: Diese Welt hier oben – die macht er sich zum Beruf. Als dann Schule, Militärdienst und sein Studium in Aerospace Engineering in Osnabrück und Bristol beendet waren und er das nötige Kleingeld für die Berufspiloten-Lizenz zusammen hatte, verwirklichte er sich seinen Traum vom professionellen Fliegen. Vier Jahre ist das nun her. Nun ist er 29.

Der Rhythmus in seiner Branche ist nicht ohne: Morgens um drei aufstehen, 180 Passagiere pro Flug sicher von A nach B bringen, späte Heimkehr. Die Verantwortung ist riesig: Fehler kommen hier viel teurer zu stehen, als in vielen anderen Berufen. Es geht schliesslich um Menschenleben. Tauschen will er trotzdem mit niemandem: «Es ist und bleibt mein absoluter Traumjob. Denn ich habe mein liebstes Hobby zum Beruf gemacht. Der Perspektivenwechsel und das gefühlte 'Verschwinden' der Grenzen, sobald du in der Luft bist – das ist einfach atemberaubend.»

Der Job als Pilot ist und bleibt mein absoluter Traum, denn ich habe mein liebstes Hobby zum Beruf gemacht.
Valentin (29), Berufspilot

Flugzeug-Grounding: COVID-19 legt alles still

Doch dann erreichte das Coronavirus Europa und schliesslich auch Basel. Zuerst lief alles wie gewohnt, allmählich wurden dann immer wieder neue Infektionsfälle bekannt. Auch an Valentin ging das nicht spurlos vorbei: «Natürlich waren wir verunsichert. Am Anfang erlebten wir jedoch keine grosse Veränderung, bis es dann plötzlich anstatt 180 Passagieren pro Flug nur noch etwa 100 waren, später noch weniger. Das war schon sehr beeindruckend und uns wurde etwas mulmig, denn sonst sind es erfahrungsgemäss maximal 5-6 'No-shows' pro Flug.»

Schliesslich kamen die Grenzschliessungen und der Tag, an dem Valentins Fluggesellschaft - wie auch alle anderen Airlines - ihre Flüge groundeten. Das Fliegen hatte für ihn und seine Kollegen vorerst ein Ende – wie sich nachher herausstellen wird, für fast drei lange Monate. Valentins letzte Strecke flog er am 20. März – nach Bordeaux und zurück. Dann meldete die Airline Kurzarbeit an.

Der Gesellschaft etwas zurückgeben

«Natürlich hatte ich Verständnis dafür», so der junge Pilot. «Fliegen wäre in der damaligen Situation einfach ein zu grosses Risiko gewesen. In der Zeit, in der flugtechnisch totaler Stillstand herrschte, bekam ich allerdings Lust, mich irgendwie für die Gesellschaft zu engagieren. Ich hatte das Bedürfnis, etwas Gutes zu tun – Zeit hatte ich dafür ja jetzt genug. Denn es war nicht absehbar, wann es wieder losgehen kann mit dem Fliegen.»

Zufällig stiess er auf der Webseite von GGG Benevol auf das Angebot des BackwarenOutlets an der Güterstrasse. Die Inhaber suchten freiwillige Helferinnen und Helfer. «Es ist ein sozialwirtschaftlicher Betrieb, der Brot und Backwaren vom Vortag aus Bäckereien in Basel und Region 'rettet' und zum halben Preis verkauft. Was danach übrig bleibt, wird an Bedürftige Baslerinnen und Basler am sogenannten 'Rübisstübis' gratis verteilt – unter der Woche um 19 Uhr und samstags um 18 Uhr.» Das Rübisstübis ist mittlerweile zur allerseits heiss geliebten Tradition geworden. Es spricht sich unter den Menschen rum. Dank einer Mitarbeiterin ist das Konzept des BackwarenOutlets zudem mittlerweile um ein Indian- und Thai Food Take-away erweitert worden.

'Nein' zu Food Waste: Broten und Backwaren ein zweites Leben schenken

Vom Konzept des BackwarenOutlets ist Valentin überzeugt: «Zuhause behält man das Brot ja auch immer über mehrere Tage und isst es am dritten und vierten Tag trotzdem noch auf. Wieso sollten also wertvolle Lebensmittel, die am allerersten Tag keine Abnehmer gefunden haben, einfach so entsorgt werden?»

Ab Ende April half Valentin täglich im BackwarenOutlet aus. Mal mit dem Auto, mal mit dem Fahrrad unterwegs, holte er unverkaufte Brote und Gebäck bei den Bäckereien ab und brachte sie ins Geschäft – zur Freude der Kundinnen und Kunden: «Wenn man sieht, wie dankbar die Leute sind, wenn sie etwas günstig gekauft oder gar gratis bekommen haben, dann ist das so ein grosses Glück. Es gibt dir sehr viel Kraft.», so Valentin. Insbesondere beim 'Rübisstübis' äussert sich das stark. «Mit der Zeit kennst du die Menschen, die dort hinkommen persönlich und baust zu manchen von ihnen auch eine Beziehung auf. Du siehst mehr in ihnen, als Kundinnen und Kunden.»

Bild: Valentin bei seinem Einsatz am täglichen 'Rübisstübis' beim Bahnhof SBB

Ich schaue jetzt alles im Leben aus einer ganz anderen Perspektive an. Und lebe nun jeden Tag noch bewusster.
Valentin, Berufspilot (29)

Nach der Krise das eigene Leben aus neuer Perspektive betrachten

Durch das Engagement beim BackwarenOutlet wurde Valentin jeden Tag immer mehr bewusst: Der Weg von einer Vorzeige-Karriere bis zur Armut oder gar dem Leben auf der Strasse kann erschreckend kurz sein. «Ich habe in dieser Zeit mit vielen Menschen gesprochen, die ich sonst wohl kaum getroffen und kennengelernt hätte. Ich bin sehr dankbar dafür.», sagt Valentin nachdenklich und fährt fort: «Es ist unglaublich, wie schnell es gehen kann: Zuerst bist du erfolgreicher Karrierist, doch durch eine extrem unglückliche Verkettung an Umständen findest du dich plötzlich auf der Strasse wieder. Und das Szenario ist nicht ausgedacht – es geschieht tatsächlich. Ich habe vorher nicht gedacht, dass Menschen so etwas wirklich so schnell und unerwartet passieren kann. Deshalb schaue ich jetzt alles im Leben aus einer ganz anderen Perspektive an. Und lebe nun jeden Tag noch bewusster.»

Das mag Valentin:

  • Seine Freundin
  • Als Pilot die Höhe geniessen
  • Die gefühlte Grenzenlosigkeit beim Fliegen
  • Zeit mit tollen Menschen verbringen
  • Technik
  • Gelassen in den Tag starten & die Wettervorhersagen für die anstehenden Flüge checken
  • Die Freude in den Augen der Menschen sehen, denen er helfen konnte

Zurück in die neue Normalität: Was die Zukunft wohl bringt?

Der Flugstopp ist nun aufgehoben, die Maschinen startklar. Anfang Juli hebt Valentin wieder ab und die Normalität kehrt nach und nach in sein Leben zurück. Auch wenn vorerst vieles noch neu und ungewohnt sein wird – wie die Hygiene-Masken im Flugzeug und die reduzierten Flugpläne. Doch das Engagement im BackwarenOutlet hat in seinem Herzen einen festen Platz erobert:

«Es war eine grosse Freude für mich, den Inhabern unter die Arme zu greifen. Ich kann sagen: Mein Leben veränderte sich dadurch wirklich nachhaltig. Ich finde das Konzept sehr unterstützenswert und mein Ziel ist es, auch weiterhin mindestens einmal pro Woche 2-3 Stunden hier auszuhelfen. Zum Glück wohne ich direkt gegenüber – deshalb bin ich optimistisch, dass es klappt», sagt der fröhliche Pilot und ergänzt: «Ich würde die Leute hier ansonsten auch viel zu sehr vermissen. Und ich habe gelernt: Es ist so wichtig, Gutes zu tun. Denn es kommt immer wieder zu einem selbst zurück. Jedes Mal in einer neuen, überraschenden Form.»

Kennen Sie weitere Basler Heldinnen und Helden?

Kennen Sie Basler «Heldinnen» oder «Helden» aus dem Kanton Basel-Stadt über die wir unbedingt berichten sollten? Erzählen Sie es uns! Wir freuen uns auf viele weitere tolle Geschichten über Menschen, die Basel durch ihr Engagement zu etwas ganz Besonderem machen.

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Ekaterina Cámara

Redaktion

socialmedia@bkb.ch

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Food Waste vermeiden: Für Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft

Food Waste ist in der Schweiz ein grosses Thema, hierzu einige Kennzahlen:

  • Ein Drittel aller Lebensmittel in der Schweiz wird verschwendet. Das sind alleine in den einzelnen Haushalten etwa 90 Kilogramm Lebensmittel im Jahr pro Person. Insgesamt sind es 2,8 Millionen Tonnen unverwerteter Lebensmittel. 
  • Der grösste Anteil an Food Waste entsteht mit 35 Prozent bei der Verarbeitung. Die Haushalte folgen mit 28 Prozent, dann die Landwirtschaft mit einem Anteil von 20 Prozent.
  • Im Gross- und Detailhandel entstehen insgesamt 10 Prozent der Lebensmittelverschwendung.
  • Food Waste belastet das Portemonnaie der Schweizerinnen und Schweizer mit über CHF 600 Franken pro Jahr.

Was Sie persönlich gegen Food Waste tun können, lesen Sie im folgenden Artikel.

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